NATO gegen Jemen
Von Jakob Reimann
Sie zahlen den Preis: Zivilisten werden im Jemen im Schnitt jeden Tag mehr als viermal militärisch angegriffen. Dies geht aus einer vergangene Woche von der britischen Hilfs- und Menschenrechtsorganisation Oxfam veröffentlichten Untersuchung hervor. Im Berichtszeitraum Januar 2021 bis Februar 2022 habe es demnach 1.727 Angriffe auf zivile Ziele gegeben. Bei einem Viertel von ihnen habe es sich um »Luftschläge« der von Saudi-Arabien geführten Kriegskoalition gehandelt. Hinzu kommen weitere Einsätze von Artillerie, Drohnen und Raketen sowie Gefechte mit diversen Kleinwaffen und Sprengstoffanschläge. Laut Oxfam wurden 839 Zivilisten getötet, Tausende seien verletzt worden.
»Die schiere Zahl der Angriffe auf Zivilisten ist ein deutliches Zeichen für die schreckliche Tragödie, die die Menschen im Jemen erleiden müssen«, so Martin Butcher von Oxfam. »Die Intensität dieser Angriffe wäre ohne einen ausreichenden Nachschub an Waffen nicht möglich«, so der Autor der Studie weiter. Die britische Friedensorganisation CAAT schätzt, dass sich die Waffenverkäufe der britischen Regierung an Saudi-Arabien seit Kriegsbeginn im Jemen 2015 auf eine Summe von 23 Milliarden Pfund (26 Milliarden Euro) belaufen. Die britische Firma BAE Systems gilt als wichtigste Ausrüsterin der saudischen Luftwaffe; ohne den sechstgrößten Rüstungskonzern der Welt wäre der saudische Bombenkrieg im Jemen in dieser Form nicht möglich. BAE hat allein in den ersten fünf Kriegsjahren vor allem Kampfjets und dazugehörige Munition im Wert von mehr als 15 Milliarden Pfund (17 Milliarden Euro) an Saudi-Arabien geliefert, wie die britische Tageszeitung Guardian im April 2020 berichtete. Historisch sind die USA der mit Abstand größte Exporteur von Rüstung in die Golfmonarchie. So verkaufte Washington seit den 1950er Jahren Waffen im Wert von über 174 Milliarden US-Dollar an Riad, heißt es im Oxfam-Bericht, was das Königreich in den letzten sieben Jahrzehnten zum größten Importeur von Kriegsgütern weltweit macht.
Die Waffen für den seit 2015 wütenden Krieg im Jemen stammen zu knapp 84 Prozent aus Ländern, die dem NATO-Kriegsbündnis angehören, wie aus den jährlich aktualisierten Datenbanken des Stockholmer Friedensinstituts SIPRI hervorgeht. Demnach stammen 56 Prozent aller in den Kriegsjahren an die acht Staaten der gegen den Jemen kriegführenden arabischen Koalition gelieferten Waffen aus den USA, zwölf Prozent aus Frankreich, neun Prozent aus Russland und fünf Prozent aus Großbritannien. Die BRD ist mit knapp viereinhalb Prozent der fünftgrößte Waffenlieferant seit Ausbruch des Krieges und verkaufte unter Exkanzlerin Angela Merkel für insgesamt 11,7 Milliarden Euro Rüstungsgüter an die saudische Koalition, wie aus den entsprechenden Exportberichten hervorgeht. Die Ampelregierung versprach in ihrem Koalitionsvertrag, keine Waffen an Länder zu verkaufen, »solange diese nachweislich unmittelbar am Jemen-Krieg beteiligt sind«. Bis Mitte März 2022 hat diese Regierung dann bereits an alle acht Koalitionäre Rüstungsgüter im Wert von insgesamt rund 61 Millionen Euro verkauft, wie sich aus den in der Antwort auf eine Anfrage der Linken-Abgeordneten Sevim Dagdelen angegebenen Zahlen errechnen lässt.
Den Verkauf von Munition für Kampfjets an Saudi-Arabien verteidigte Außenministerin Annalena Baerbock auf dem Grünen-Parteitag im vergangenen Oktober mit der sonderbaren Begründung, dass »Lisa«, gemeint ist Familienministerin Elisabeth Paus, sonst »keine Mittel mehr hat für die Kinder, die sie dringend brauchen« – sie fehlten dann im Haushalt. Laut einer Studie im Auftrag der UNO vom November 2021 sind von den rund 400.000 Kriegstoten im Jemen 70 Prozent Kinder unter fünf Jahren.
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