»Wir müssen vorsichtiger agieren«
Interview: Igor Kusar, Tokio
Im Dezember hat die japanische Regierung entschieden, die Rüstungsausgaben innerhalb von fünf Jahren zu verdoppeln. 2027 sollen sie zwei Prozent des Bruttoinlandprodukts betragen. Wie reagiert Ihre Partei auf diesen Aufrüstungskurs?
Grundsätzlich sind wir gegen die neue Sicherheitsstrategie, insbesondere gegen die Anhebung des Wehretats innerhalb der nächsten fünf Jahre. Die soll durch Steuererhöhungen finanziert werden. Der Kabinettsbeschluss fiel im Dezember, nachdem die Legislaturperiode zu Ende gegangen war – also, ohne dass wir im Parlament darauf hätten reagieren können. Das verstößt gegen die Regeln der Demokratie.
Wir kritisieren zudem die Herangehensweise und die Prioritätensetzung der Regierung. Die Entscheidung zur Verdoppelung fiel, bevor man eine genaue Analyse der neuen Bedrohungslage gemacht und sich für eine Verteidigungsstrategie entschieden hatte. Wichtig wäre es vielmehr, diplomatische Bemühungen zu stärken, damit es gar nicht erst zu einer Eskalation kommt.
In japanischen Medien wird Ihre Partei kritisiert, weil sie sich zu wenig und nicht dezidiert gegen die Aufrüstungspläne der Regierung stellt.
Nun ja, der Rüstungsbereich ist eine komplizierte Sache. Wir bestreiten nicht, dass sich die Bedrohungslage etwa durch den Ukraine-Krieg verändert hat oder dass sich die Militärtechnologie laufend wandelt, vor allem im Weltall und in der Cyberwelt. Wir stimmen zu, dass wir eine Diskussion darüber führen müssen, wie Japan auf diese Entwicklungen reagieren soll.
Doch die regierende Liberaldemokratische Partei LDP nutzt die gegenwärtige Weltlage aus. Sie sollte vorsichtiger agieren und aus den Fehlern der Vergangenheit lernen. Teure Waffensysteme von den USA zu kaufen, wie es die Regierung plant, sollte nicht die Priorität sein. Wir haben im Inland wichtigere Aufgaben: Der Wirtschaft geht es schlecht, die Preise steigen auch in Japan, während die Löhne stagnieren und die Armut zunimmt, außerdem sinken die Geburtenzahlen – die Bevölkerung verlangt nach Gegenmaßnahmen. Doch die Regierung konzentriert sich vor allem auf die Verteidigungspolitik, ohne auf die Menschen zu hören.
Die neue Verteidigungsdoktrin wurde durchs Kabinett beschlossen und in den sogenannten drei Dokumenten zur nationalen Verteidigung festgeschrieben. Sind die Würfel dadurch gefallen, oder sehen Sie eine Möglichkeit, die Dinge noch zu ändern? Die beiden Regierungsparteien LDP und Komeito haben in den beiden Parlamentskammern eine klare Mehrheit.
Die Rüstungspläne werden das große Thema der nächsten Legislaturperiode sein, die am 23. Januar beginnt. Die Aufgabe der Oppositionsparteien ist es, Fehler der Regierung klar zu benennen und eigene Vorschläge zu unterbreiten. Bei der Sicherheitspolitik geht es um das politische Überleben des Kabinetts von Premierminister Fumio Kishida – da wird es schwierig werden, Dinge noch zu ändern.
Vor allem die Pläne der Regierung, die Fähigkeit zum sogenannten Gegenschlag zu entwickeln, sorgen für viel Debattenstoff. Japan soll in die Lage versetzt werden, Raketenabschussanlagen und Kommando- und Kontrollzentren des Feindes zu vernichten, bevor dieser zum Erstschlag ansetzen kann.
Japan darf nach Verfassungs- und internationalem Recht keinen Angriffskrieg führen und hat nach 1945 seinen Weg mit der Friedensverfassung bestritten, die auch auf historischer Verantwortung basiert. Wir sollten uns wieder stärker auf Friedensarbeit und Diplomatie konzentrieren.
Trotzdem lässt sich doch festhalten, dass Ihre Partei ziemlich nahe am Kurs der LDP ist, oder?
Das würde ich nicht sagen. Zwar bestreiten wir nicht, dass wir eine Debatte über eine neue Sicherheitsstrategie führen müssen. Unsere Vorgehensweise und Prioritätensetzungen sind aber ganz anders.
Die Aufrüstung richtet sich vor allem gegen China, was auch bei der Militärkooperation mit den USA deutlich wird. Besorgt es Sie da nicht, dass hier Vorbereitungen für einen möglichen Weltkrieg unternommen werden?
Darum sage ich ja: Wir müssen vorsichtiger agieren. Sonst droht Japan, eine Aufrüstungsspirale auszulösen.
Yoichiro Aoyagi ist Abgeordneter im japanischen Unterhaus für die größte Oppositionspartei, die linksliberale Konstitutionell-Demokratische Partei (KDP)
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