Frieden erkämpfen
Von Arnold SchölzelEs gebe hierzulande jede Menge »zweibeinige Kampfhaubitzen«, meinte Sevim Dagdelen (Die Linke) in der Podiumsdiskussion der XXVIII. Internationalen Rosa-Luxemburg-Konferenz (RLK) am Samstag abend in Berlin. Die Mehrheit der Bevölkerung spreche sich aber trotz deren Getrommels für Panzerlieferungen in Umfragen dagegen aus. Mehr als 3.000 Menschen sind da bereits ins Mercure Hotel MOA gekommen. Zu einem großen Teil junge Leute folgten dem RLK-Aufruf »Den dritten Weltkrieg stoppen – Jetzt!«. Es ist ein neuer Besucherrekord nach zwei Jahren im Onlineexil. Bis zum späten Nachmittag waren in die Liveübertragung mehr als 15.000 Endgeräte eingeschaltet. Es gab »Public Viewing«-Gruppen von bis zu 50 Zuschauern, die z. B. aus Zürich und Nürnberg Grüße an die Konferenz schickten.
Mit einer Hunderte Meter langen Schlange Einlassbegehrender hatte der Tag begonnen, der Andrang im vergrößerten Konferenzsaal, an Buch- und Organisationsständen blieb bis zum Schluss groß. Die Kapazitätsgrenze ist wieder einmal erreicht. RLK-Tradition war die Begrüßung der ersten, die es nach drinnen geschafft hatten: Livemusik und Eröffnung der Kunstausstellung. Dann das erste Referat des Ökonomen Wen Tiejun vor rund 1.400 Zuhörern live aus Beijing: China hat seine Entwicklungsstrategie verändert, strebt eine »ökologische Zivilisation« an. Die Belgierin Anne Morelli zieht in ihrer Rede Parallelen zwischen Kriegspropaganda des Ersten Weltkriegs und der heutigen. Nikolai Platoschkin, aus Moskau zugeschaltet, konstatiert: Offenbar sei der deutsche Bundeskanzler das letzte Hindernis vor der Lieferung von Kampfpanzern an die Ukraine. Mumia Abu-Jamal grüßt aus dem US-Knast, es gibt Hoffnung auf Wiederaufnahme seines Prozesses. Das Forum mit SDAJ und DIDF-Jugend bekräftigt: »Diese Jugend steht auf«. Jack Rasmus erläutert live aus San Francisco die Krise der Weltwirtschaft: Langfristig wird der Kapitalismus sie nicht überdauern. Dann die Kernbotschaft dieser RLK: die »Manifestation für den Frieden« mit Aktivisten auf der überfüllten Bühne und an der gesamten Stirnwand des Saales, der Schauspieler Rolf Becker spricht. Ruhig vorgetragen, aber dramatisch: Aminata Traoré aus Mali referiert über die Folgen der westlichen Kriegspolitik für ihr Land und andere im »globalen Süden«. Aleida Guevara in einer Videobotschaft aus Havanna: »Wir brauchen Frieden in Würde.« Die kubanische Journalistin Rosa Miriam Elizalde warnt vor der »Einstimmigkeit der Herde« in den von Techkonzernen beherrschten Medien und bekräftigt: »Sozialismus ist die Voraussetzung für Frieden«.
Keine Revolution ohne Kultur. Die kommt zwischen den Referaten zu Wort: M&R-Chefredakteurin Susann Witt-Stahl erläutert, warum das Magazin noch »auf Eis liegt« und stellt zusammen mit der britischen Aktivistin Jackie Walker den Film »Oh, Jeremy Corbyn. Die große Lüge« vor. Pablo Miró und Nicolás Miquea laden musikalisch zum Erinnerungskonzert für Victor Jara am 16. September ein. Die Weltklassegitarristen ziehen das Publikum in den Bann. 50 Jahre nach dem Faschistenputsch in Chile sagen sie: Den Kampf setzen wir fort!
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Leserbrief von Joachim Seider (16. Januar 2023 um 16:21 Uhr)Liebes Redaktionskollektiv, herzlichen Dank für die RLK 2023! Wir brauchen etwas, was uns Mut macht. Das hat sie geschafft. Wir brauchen Stoff zum Denken. Den hat sie herangeschafft. Wir brauchen das Gefühl der Gemeinsamkeit. Das habt ihr geschaffen. Ein großes Kompliment an eure Dolmetscher. Sie haben wirklich hart gearbeitet. Besser wäre es trotzdem, die Referenten würden ihre Vorträge bei ihnen vorher zur Übersetzung vorlegen. Manche Feinheit verschwindet, wenn man sie in der Kürze der Zeit nicht exakt genug transportieren kann. Die Chance dazu solltet ihr den Dolmetschern (und dem geduldigen Publikum) unbedingt geben. Denn das Gesagte war viel zu wichtig, als dass man das dem Zufall überlassen dürfte.
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Leserbrief von Ullrich-Kurt Pfannschmidt (16. Januar 2023 um 10:33 Uhr)Zu Bildunterschrift »Grußbotschaft Aleida Guevaras aus Kuba: ›Wir brauchen Frieden in Würde‹«: Ich kann mir vorstellen, dass diesen Wunsch insbesondere auch das ukrainische Volk hat, das seit fast einem Jahr unter russischen Bomben und Raketen leidet. – Ist es eigentlich Zufall, dass das Wort »Ukraine« in diesem Artikel nur ein einziges Mal vorkommt? Sicher sind die im Artikel angesprochenen Themen wichtig. Aber wenn es darum geht, den dritten Weltkrieg zu stoppen, sollte doch die Ukraine im Mittelpunkt stehen, wo der Krieg bereits tobt!
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Detlef S. aus Massanes, Katalonien (16. Januar 2023 um 10:13 Uhr)Als langjähriger jW-Abonennt war ich inhaltlich von der Konferenz enttäuscht. Lediglich die China- und Mali-Beiträge hatten neue Substanz gebracht. Der Rest hausbackene Analysen, Berichte, die kaum etwas neues enthielten. Skandalös und entsprechend der jW-Nabelschauperspektive empfand ich, dass die am gleichen Tag stattgefundenen Lützerath-Auseinandersetzung weder per Soli-Adresse noch einem kurzen Vor-Ort-live-stream ein Plätzchen gefunden hatte. Zumindest habe ich nichts mitbekommen. Erschreckend, dass eine der wichtigsten globalen Auseinandersetzungsebenen, nämlich der Kampf um Energie und Ressourcen der imperialen Zentren vor dem Hintergrund eines disruptiven Technologiewandels, überhaupt keinen Eingang gefunden hatte. Hier scheint die jW immer noch der alten sozialistischen Doktrin der zerstörerischen Produktivkraftentwicklung anzuhängen. Das kapitalistische System, egal ob USA, EU, China etc. setzt weiterhin auf die gleichen Paradigmen, die dreimal soviel Ressourcen verschlingen, wie die Erde hergibt. Die Energiedichte der Erneuerbaren (außer Wasser), der Energie Returned on Energy Invested (ERoEI), ist hier der determinierende Faktor, zwingt, wenn es noch eine Menschheitsperspektive geben soll, zum radikalen Umdenken in der Organisierung von Volkswirtschaften. Das ist einer der entscheidenden Hintergründe für das Vorantreiben kriegerischer Verteidigung globaler, imperialer Interessen, die sich sowohl im Innern der Metropolengesellschaften als auch weltweit als gigantische Umverteilungskämpfe zu Lasten der Menschen brutal niederschlagen. Hier fehlt ganz offensichtlich in der jW-Redaktion Problembewusstsein und Analysekapazität.
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