Knüppel frei für RWE
Von Nick Brauns
Viele Klimaschutzaktivistinnen und -aktivisten saßen gerade beim Frühstück, als um 7.25 Uhr Sirenen und Glockengeläut in Lützerath ertönten: Großer Alarm! Die Polizei hat mit der Räumung des besetzten Ortes begonnen. Lange Ketten von Dutzenden Mannschaftsbussen der Polizei kesselten den nahe der Abbruchkante zum Braunkohletagebau Garzweiler II gelegenen Weiler ein, der zum Symbol im Kampf gegen den klimaschädlichen Fossilkapitalismus geworden ist. Um das Gelände wurde ein 1,5 Kilometer langer Bauzaun errichtet, damit keine weiteren Aktivisten zum Widerstandscamp gelangen konnten.
Im Ort waren 600 bis 800 Klimaschützer und antikapitalistische Aktivisten versammelt. »Die Menschen sind fest entschlossen, dazubleiben, auszuharren, die Bäume und die Gebäude zu schützen«, erklärte Mara Sauer, eine Sprecherin der Initiative »Lützerath lebt«. Die Verteidiger des Ortes harrten auf rund zwei Dutzend Baumhäusern sowie Pfählen mit Plattformen in luftiger Höhe bis zu fünf Metern aus, waren an Gebäuden festgeklebt oder an Rohre gekettet. Ziel sei es, den Protest in die Länge zu ziehen und den Einsatz zu erschweren.
Nach der Abriegelung des Geländes begannen Polizisten damit, Barrikaden abzubauen und Blockierer mit Hebebühnen von ihren Hochsitzen zu holen. Nur wenige Aktivisten verteidigten sich militant. Auf Videos sind Steine und Pyrotechnik zu sehen, die von Vermummten in Richtung der Polizisten geworfen wurden. Die meisten beschränkten sich auf passiven Widerstand und ließen sich wegtragen. Ein Musiker spielte mitten im Regen auf einem alten Klavier, einige um ein Kreuz versammelte Christen beteten und sangen.
Es sei ein Kampf »David gegen Goliath«, schilderte eine jW namentlich bekannte Dokumentarfilmerin, die seit zwei Jahren in Lützerath arbeitet, am Mittwoch nachmittag telefonisch aus einem Baumhaus ihre Eindrücke vom »kreativen Widerstand« gegen die mit »Brachialgewalt« vorgehende Polizei. Selbst gegen ältere Frauen des christlichen Zusammenschlusses »Die Kirche im Dorf lassen« seien Schmerzgriffe angewandt worden. Personen in sogenannten Lock-ons – in den Boden einbetonierten Rohren – seien Verletzungen angedroht worden, wenn sie ihre Fixierungen nicht freiwillig lösten. Nach der Räumung einer Halle, bei der Journalisten nicht anwesend sein durften, habe sie Aktivisten mit Verletzungen gesehen. Eine etwa 20jährige Aktivistin, die sich Zora nennt, habe erklärt, die Polizei könne zwar alles zerstören, weil sie die technischen Mittel dazu habe. Doch niemand könne ihr ihre in Lützerath in der Praxis erfahrene Vision eines solidarischen Zusammenlebens nehmen. Zumindest die meisten Baumhäuser und viele Lock-ons waren bis jW-Redaktionsschluss noch nicht geräumt.
Bislang laufe alles »nach Plan«, zeigte sich ein Polizeisprecher am Nachmittag »sehr zufrieden« mit dem Verlauf der Räumung. Wem der Einsatz mit Tausenden Beamten aus dem ganzen Bundesgebiet dient, daran ließ das ZDF-Landesstudio NRW keinen Zweifel: »Der Energiekonzern RWE hat mitgeteilt, den Weiler Lützerath heute zu räumen«, hieß es in einer Eilmeldung von Mittwoch früh. Das ist wörtlich zu nehmen: So hat der Konzern geländegängige Fahrzeuge mit seinem Firmenlogo zum Abtransport gefangener Aktivisten an die Polizei vermietet, wie die Pressestelle der Polizei Aachen gegenüber jW bestätigte.
Die unter dem Lützerath lagernde Kohle sei notwendig, um in der Energiekrise – eine hausgemachte Folge des Wirtschaftskrieges gegen Russland – Strom zu produzieren, argumentiert RWE. Die Räumung des Ortes ist Teil eines Deals über einen Kohleausstieg in Westdeutschland bis 2030, den die von Bündnis 90/Die Grünen geführten Wirtschaftsministerien in NRW und im Bund mit RWE ausgehandelt haben. Die »leergezogene Siedlung Lützerath« sei das »falsche Symbol«, verteidigte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck die Räumung am Mittwoch ausdrücklich. Bei gänzlicher Ignoranz gegenüber dem von staatlicher Seite ausgeübten Zwang betonte der Grünen-Politiker, »es dürfe keine Gewalt geben. Diese Grenze darf nicht überschritten werden.« Der Landessprecher der Grünen Jugend NRW, Renas Sahin, bezeichnete die Räumung in einer Erklärung dagegen als »falsch« und kündigte an, der Jugendverband werde weiter bei Aktionen rund um das Dorf für wirksame Klimapolitik kämpfen.
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