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Aus: Ausgabe vom 11.01.2023, Seite 5 / Inland
Arzneimittelengpässe

Lauterbach macht Bayer froh

Krankenkassen setzen Festbeträge bei knappen Kinderarzneien für drei Monate aus
Von Ralf Wurzbacher
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Aktuell Mangelware in der BRD: Hustensaft für Kinder

Wenn die Politik »schnelle« Lösungen verspricht, ist in der Regel viel Geduld gefragt. Entgegen früherer Äußerungen von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) kann den akuten Engpässen bei Fieber- und Hustensäften für Kinder wohl frühestens ab Februar begegnet werden. Nach einem Bericht der ARD-»Tagesschau« vom Dienstag hat der Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) Maßnahmen eingeleitet, wie die Versorgung mit in der laufenden Erkältungssaison elementaren Medikamenten in absehbarer Zeit wieder sicherzustellen ist. Demnach sollen die Festbeträge für bestimmte Fertigarzneimittel mit den Wirkstoffen Ibuprofen und Paracetamol sowie für Antibiotika, die als Zäpfchen oder in flüssiger Anwendungsform vorliegen, für drei Monate ausgesetzt werden.

Damit schaffe man die Voraussetzungen, dass einer weiteren Verschärfung der angespannten Situation kurzfristig entgegengewirkt werden könne, teilte der Spitzenverband am Montag per Pressestatement mit. Das Verfahren betreffe insgesamt 180 Präparate aus zehn Festbetragsgruppen, darunter Ibuprofen-Säfte, Paracetamol-Zäpfchen und Antibiotikasuspensionen. Sogenannte Aufzahlungen, also zusätzliche Kosten für die Verbraucher, werden den Angaben zufolge nicht fällig. Die höheren Vergütungen für die Hersteller werden von den Krankenkassen übernommen. Ob der Schritt die Linderung bringt, bleibt indes abzuwarten. Die Hoffnung geht dahin, dass die Industrie durch den Wegfall der Preisobergrenzen die Produktion zügig ankurbelt und dem deutschen Markt wieder mehr Bedeutung beimisst.

Lauterbach kommt angesichts der Neuigkeiten vorerst mit einem blauen Auge davon. Er war vor drei Wochen mit einem Eckpunktepapier vorgeprescht, von dem sich später herausstellte, dass es mit den Krankenkassen nicht abgestimmt war. Seine Ansage, für Kinderarzneimittel Preise von bis zu 50 Prozent über dem gültigen Festbetrag zu gestatten, hatte GKV-Spitzenverbandschefin Doris Pfeiffer »ein beeindruckendes Weihnachtsgeschenk für die Pharmaunternehmen« genannt. Kopfschütteln bei Fachleuten verursachte desgleichen seine Äußerung, wonach »die kurzfristige Wirkung bei den Kindern (…) unmittelbar eintreffen« werde. Das klang so, als könnte schon zu Neujahr wieder alles Nötige über den Ladentisch gehen. Weit gefehlt: »Die Lage ist schlimm«, erklärte am Dienstag der Vorsitzende des Apothekenverbandes Nordrhein, Thomas Preis, gegenüber Focus online. Einen so heftigen Mangel habe er in über 30 Berufsjahren nicht erlebt. Der Schwund betrifft neben den Kinderarzneien auch Magensäureblocker, Blutdrucksenker, diverse Schmerzmittel, Antibiotika sowie bestimmte Krebsmedikamente.

Die Krankenkassen bezweifeln derweil, dass ein Aufweichen der Festpreise auf lange Sicht Abhilfe schafft. »Wir warnen vor der Annahme, dass internationale Pharmakonzerne ihre globalen Produktionsstandorte und Lieferprozesse nur ändern, weil gesetzlich Krankenversicherte in Deutschland künftig mit ihren Krankenkassenbeiträgen höhere Medikamentenpreise bezahlen müssen.« Vielmehr erhalte die Industrie mit der bis Ende April befristeten Regelung Zeit, »die bestehenden Produktions- und Lieferprobleme in den Griff zu bekommen«. Das sei »kein Freifahrtschein für Gewinnmaximierung«, man werde genau hinschauen, wie die Maßnahme wirke, heißt es in besagter Stellungsnahme. Zugleich müsse der Gesetzgeber neue Vorgaben schaffen, um die Probleme »strukturell anzugehen«. Zum Beispiel sehen Lauterbachs Eckpunkte ein Verbot von Rabattverträgen der Krankenkassen mit den günstigsten Anbietern vor, die zumeist in Asien produzieren. Außerdem sollen bei künftigen Ausschreibungen stets auch Hersteller aus der EU berücksichtigt werden, deren Vertriebswege aufgrund der örtlichen Nähe weniger anfällig gegen Krisen sind.

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