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Aus: Ausgabe vom 10.01.2023, Seite 3 / Schwerpunkt
Folgen von Sanktionen

Boom bei Öl und Gas

Kapitalabzug nach Nahost: Energiekrise macht EU-Konzerne zu Übernahmekandidaten
Von Moritz Gruber
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Gasförderung in Katar

Das selbstauferlegte Energieembargo in Westeuropa wird zum gefundenen Fressen für US-Investoren. Europäische Ölgesellschaften sind im Vergleich zu denen aus den USA billig zu haben und ziehen deshalb Kapital aus den Vereinigten Staaten an.

Die Aktien der europäischen Energieriesen werden zu weniger als der Hälfte des Wertes ihrer US-Konkurrenten gehandelt. Während die Kurse der Energiemultis weltweit im vergangenen Jahr zugelegt haben, da die hohen Öl- und Erdgaspreise die Gewinne in die Höhe trieben, ist die Entwicklung in den einzelnen Regionen jedoch unterschiedlich. Der S&P-500-Energieindex in den USA hat 2022 mit 53 Prozent um mehr als das Doppelte des 18prozentigen Anstiegs des europäischen Pendants Stoxx-600-Energieindex zugelegt. Der US-Konzern Exxon Mobil meldete im dritten Quartal dieses Jahres Rekordgewinne von fast 20 Milliarden US-Dollar (etwa 19 Milliarden Euro) und trieb seine Marktkapitalisierung auf mehr als 400 Milliarden US-Dollar. Der Preisunterschied ist so lukrativ, dass selbst Investoren, die sich einem »grünen« Image verschrieben haben, zugreifen. Fonds-Branchenprimus Blackrock hat seine zweitgrößte Position in seinem 19 Milliarden Dollar schweren US-Aktiendividendenfonds an BP vergeben. Je länger der Krieg dauert, desto größer dürfte die Shoppingtour der Wall-Street-Vertreter in Europa ausfallen.

Der durch das Wirtschaftsembargo gegen Russland befeuerte Boom fossiler Rohstoffe ist auch ein Segen für die Monarchien auf der arabischen Halbinsel. Während sich der Großteil der Welt auf eine Rezession vorbereitet, prognostiziert der Internationale Währungsfonds, dass die Öl- und Gasproduzenten des Nahen Ostens in den nächsten vier Jahren bis zu 1,3 Milliarden US-Dollar mehr einnehmen werden als erwartet. Ein Großteil davon wird in die Golfregion fließen, in der Saudi-Arabien, der größte Rohölexporteur, und Katar, der größte Flüssigerdgasexporteur, ansässig sind.

Zu den größten Investitionen der katarischen staatlichen Investmentholding QTA gehörten im vergangenen Jahr 2,4 Milliarden Euro in den BRD-Energiekonzern RWE und 1,5 Milliarden US-Dollar in Bodhi, das Unternehmen von Medienmogul James Murdoch in Indien. Zudem war QTA ein Hauptinvestor beim Börsengang von Porsche.

Einer der Hauptanziehungspunkte für Investoren ist der Public Investment Fund (PIF) von Saudi-Arabien. Dessen Auslandsengagement ist von neun Prozent seines Vermögens im Jahr 2017 auf etwa ein Viertel im Juni angestiegen, während die Größe des Fonds von etwa 150 Milliarden US-Dollar vor sieben Jahren auf mittlerweile mehr als 600 Milliarden Dollar angewachsen ist. Erklärtes Ziel ist es, bis 2025 ein verwaltetes Vermögen von mehr als einer Billion US-Dollar zu erreichen, wovon etwa 30 Prozent in internationale Anlagen fließen sollen. Nachhaltig sind diese Anlagen nicht. Zu den bemerkenswerten globalen Geschäften in diesem Jahr gehört die Entscheidung, mehr als drei Milliarden US-Dollar in Glücksspielunternehmen zu pumpen.

Auch die Vereinigten Arabischen Emirate stehen bei der Bundesregierung hoch im Kurs. Abu Dhabi hat mit RWE einen Vertrag über die Lieferung von 137.000 Kubikmeter Flüssigerdgas abgeschlossen. Der Staatsfonds Mubadala investierte im Jahr 2021 eine Rekordsumme von 30 Milliarden US-Dollar. Im vergangenen Jahr verpflichtete er sich, in den nächsten fünf Jahren zehn Milliarden Pfund Sterling in Großbritannien zu investieren, wovon er bereits etwa die Hälfte eingesetzt hat. Seine jüngere Schwester ADQ hat im gesamten Nahen Osten, in Nordafrika und in der Türkei Beteiligungen getätigt. Sogar Adia, der traditionellste und konservativste Staatsfonds von Abu Dhabi, hat in hohem Tempo investiert.

Einige Analysten sind jedoch der Meinung, dass die Preise für Vermögenswerte wegen der Verwerfungen der Weltwirtschaft noch weiter fallen können. Deswegen haben es die Investoren nicht eilig. »Wir sind vorsichtig, wie wir unser Pulver verschießen. Wir sind gut positioniert, was die Liquidität und den Zugang zu Geschäftsabschlüssen anbelangt«, sagte der Vorsitzende von Mubadala, Chaldun Mubarak, der Financial Times (Mittwochausgabe). Ein bisschen mehr sollen die Verdammten dieser Erde erst noch leiden, bevor zugegriffen wird. »Ich glaube, dass noch viel mehr Schmerz auf uns zukommt.«

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  • Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (10. Januar 2023 um 10:54 Uhr)
    Ölgiganten haben ein Grundinteresse an Profit, d. h. hohe Verkaufspreise. Öl als Naturprodukt war noch bis zur Ölkrise 1974 – was nichts anderes war als eine Dollarkrise – preiswert. Danach wurde der Dollar als »Weltwährung« statt Golddollar als Petrodollar organisiert. Seither ist der Erdölmarkt das wichtigste Barometer der Weltwirtschaft. Eine Weile funktionierte das System auch gut und der Ölmarkt wuchs ständig. Erst die Ölmagnaten selbst, später auch die Finanzbranche und Geldeliten durch die Politiksanktionen haben angefangen den Markt manipulieren. Die Spekulationen wuchsen mit der Ölförderung und jetzt haben wir das Paradox: Es bröckelt die westliche internationale Ordnung, wie sie nach dem Zweiten Weltkrieg geschaffen und nach dem Ende des Kalten Krieges neu organisiert wurde.

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