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Aus: Ausgabe vom 09.01.2023, Seite 8 / Abgeschrieben

Oskar Lafontaine: Warum schweigt Merkel?

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Das Webportal Nachdenkseiten veröffentlichte am Freitag einen »Zwischenruf« des früheren SPD-Politikers, Mitgründers und Exmitglieds der Partei Die Linke, Oskar Lafontaine:

In Frankreich hat sich Pierre de Gaulle, Enkel von Charles de Gaulle, Bankmanager und Unternehmensberater, in einem erstaunlichen Interview zu Wort gemeldet: »Die öffentliche Meinung beginnt, sich des perversen Spiels und der Lügen der Amerikaner und insbesondere der NATO bewusst zu werden. Die Ukrai­ne-Krise wird genutzt, um Europa zu destabilisieren. Die Kriegsauslöser sind die Amerikaner und die NATO, und ich möchte als Beweis die Äußerungen von Frau Merkel anführen, die sagte, sie habe nie die Absicht gehabt, die Minsker Vereinbarungen umzusetzen, die unterzeichnet wurden, um die Sicherheit der russischsprachigen Bevölkerung im Donbass zu gewährleisten. Frau Merkel hat alles getan, um der NATO zu erlauben, die Ukraine zu bewaffnen, hat alles getan, um die Grundlagen für diesen Konflikt zu legen. Indem sie diese ukrainische nationalistische Expansion zuließ, hat sie zugelassen, dass 16.000 bis 18.000 Menschen bombardiert und getötet wurden.«

Der Enkel Charles de Gaulles stellt im Hinblick auf die Vorgeschichte des russischen Einmarschs richtigerweise fest, dass die Amerikaner und die NATO die Kriegsauslöser sind. Eine Feststellung, die in Deutschland sofort zum Vorwurf des Putin-Verstehers und zur Ausgrenzung aus dem politischen Dialog führen würde. Viel wichtiger ist aber der Vorwurf de Gaulles an Angela Merkel, sie habe zugelassen, dass 16.000 bis 18.000 Menschen im Donbass getötet wurden. Diese zweifelhafte Rolle Merkels, die sich aus ihrem am 7. Dezember von der Zeit veröffentlichten Interview ergibt, wird weltweit diskutiert und veranlasste Putin zur Frage, ob man im Westen überhaupt noch jemanden trauen und Vereinbarungen treffen könne.

Warum schweigt Merkel dazu?

In der Tat ist eine Mitverantwortung Deutschlands an der fehlenden Umsetzung des Minsker Abkommens nicht zu leugnen. Und sie ist ein weiterer Grund dafür, dass die Bundesregierung ihre US-hörige Politik aufgeben und auf einen sofortigen Waffenstillstand und Friedensverhandlungen drängen muss. Das um so mehr, weil auch der Bericht des Europäischen Rechnungshofes vom September 2021 eine Änderung der Ukraine-Politik der Bundesregierung dringend erfordert: »Sachverständige schätzen, dass enorme Summen – in der Größenordnung von zig Milliarden Dollar – jährlich in der Ukraine aufgrund der Korruption verlorengehen.« Dazu kommen sich häufende Berichte, dass ein Teil der in die Ukraine gelieferten Waffen nicht bei der Armee ankommt, sondern auf den Schwarzmärkten der Waffenhändler verhökert wird.

Die zwingend notwendige Änderung der deutschen Ukraine-Politik mit dem Ziel eines sofortigen Stopps der Waffenlieferungen, einer Waffenruhe und Verhandlungslösung habe ich in einem Interview mit Radio München (kurzelinks.de/lafontaine) dargelegt.

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  • Leserbrief von Roland Winkler aus Aue ( 9. Januar 2023 um 17:24 Uhr)
    Im Verlauf des Krieges in und um die Ukraine werden mehr Stimmen der öffentlichen Meinung, aus der Welt, westlichen Ländern, aus Politik, Militär bis zu Vertretern der Wirtschaft laut und lauter, die von wachsendem Verstand, Vernunft, erkannten Wahrheiten und einfach auch von historischem Verständnis zeugen. Wenn auch wenig bis nichts von dem aus der westlichen Führungsmacht Deutschland zu vermelden ist, so gehört ein Lafontaine wenigstens zu den wachen Geistern des Landes. Wenn wir es so verstehen wollen, selbst eine Merkel ist mit verblüffender Wahrheit zum Ukraine-Thema an die Öffentlichkeit gegangen.
    Frieden mit Russland war demnach nie das Ziel westlicher Werte. Wer es noch näher wissen will, der kann kompetente Stimmen finden, die klar aussagen, Russland besiegen zu wollen, das Regime zu stürzen, Putin zu beseitigen usw. Es geht also nicht nur um Befreiung der Ukraine, wenn die meisten schon nicht wissen wollen, wer gegen wen seit 2014 Krieg führt.
    Von Menschenrechten kann also auch keine Rede sein beim Streben der westlichen Welt, USA, NATO, wenn die Tränen fließen um das ukrainische Volk. Dieses weiß nur noch nicht für wen und was es geopfert wird. Wenn Vertreter der Linken wie der Brandenburger Linksjugend oder Linke-Politiker zur Erkenntnis gelangt sein wollen, die Ukraine, heißt den Vernichtungskrieg noch zu unterstützen mit mehr Panzern, Waffen und Krieg trotz aller Tatsachen. Was ist da noch linke Politik, was ist da Friedenspolitik, was ist politische Realität daran? Wie kann Kriegstreiberei, wie können Interessen der Herren der Welt noch besser vertreten werden? Wer eine neue Weltordnung ohne andere Großmächte, ohne Konkurrenten errichten will, kann auch jeder bis in die Linke wissen. Wer also eine Kolonialisierung der Welt im 21. Jahrhundert will, liegt auf der Hand, muss sich niemand ideologisch zusammenreimen.

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