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Aus: Ausgabe vom 07.01.2023, Seite 3 (Beilage) / Wochenendbeilage

Ausplünderung und Unterdrückung

Lenin 1922: Die Mehrheit der Erdbevölkerung ist erwacht, aber die Bourgeoisie kann noch Abermillionen Menschen zu Qual und Tod verurteilen
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Die gegenwärtigen »Sieger« des ersten imperialistischen Gemetzels sind nicht einmal imstande, das kleine, winzig kleine Irland zu besiegen (von Briten niedergebrannte Häuserreihe in Irland 1920)

Das Tempo der gesellschaftlichen Entwicklung in den letzten fünf Jahren ist geradezu übernatürlich, wenn man mit dem alten Maß misst, dem Maß der europäischen Philister vom Schlage der Helden der II. und der zweieinhalbten Internationale, dieser zivilisierten Philister, die gewöhnt sind, es für »natürlich« zu halten, dass Hunderte Millionen Menschen (über eine Milliarde, um genau zu sein) in den Kolonien, in den halbabhängigen und in den ganz armen Ländern dulden, dass man mit ihnen wie mit den Indern oder mit den Chinesen verfährt, dass sie unerhörte Ausbeutung und direkte Ausplünderung, Hunger und Gewalt und Hohn dulden, alles deshalb, damit die »Zivilisierten« »frei«, »demokratisch« und »parlamentarisch« die Frage entscheiden können, ob die Beute friedlich geteilt werden soll, um die imperialistische Beute aufzuteilen – gestern zwischen Deutschland und England, morgen zwischen Japan und Amerika (bei einer so oder anders gearteten Beteiligung Frankreichs und Englands).

Die Hauptursache für diese enorme Beschleunigung der internationalen Entwicklung liegt darin, dass neue Hunderte und Aberhunderte Millionen Menschen in diese Entwicklung einbezogen wurden. Das alte bürgerliche und imperialistische Europa, das daran gewöhnt ist, sich für den Nabel der Welt zu halten, ist verfault und im ersten imperialistischen Gemetzel wie ein stinkendes Geschwür geplatzt. Wie sehr auch die (Oswald) Spengler (1880–1936, reaktionärer deutscher Philosoph, veröffentlichte ab 1918 sein Hauptwerk »Der Untergang des Abendlandes«, jW) und alle gebildeten Spießer, die imstande sind, über ihn in Begeisterung zu geraten (oder sich wenigstens mit ihm zu beschäftigen), aus diesem Grunde auch jammern mögen, so ist dieser Niedergang des alten Europas doch nur eine Episode in der Geschichte des Untergangs der Weltbourgeoisie, die sich bei der imperialistischen Ausplünderung und Unterdrückung der Mehrheit der Erdbevölkerung überfressen hat.

Diese Mehrheit ist jetzt erwacht und in eine solche Bewegung geraten, dass auch die stärksten und »gewaltigsten« Mächte nicht imstande sind, sie aufzuhalten. Wie könnten sie auch! Die gegenwärtigen »Sieger« des ersten imperialistischen Gemetzels sind nicht einmal imstande, das kleine, winzig kleine Irland zu besiegen (der irische Befreiungskrieg gegen England von 1919 bis 1921 endete mit der Gründung der Republik Irland und der Abtrennung Nordirlands, jW), sind nicht einmal imstande, den Wirrwarr, der unter ihnen selbst in Finanz- und Währungsfragen entstanden ist, zu überwinden. Und in Indien und China brodelt es. Das sind mehr als 700 Millionen Menschen. Das ist, wenn wir die an sie grenzenden und ihnen ganz ähnlichen asiatischen Länder hinzuzählen, die größere Hälfte der Erdbevölkerung. (…)

Und wenn irgendwelche, man entschuldige den Ausdruck, »Spengler-Jünger« daraus schließen sollten (bei den »superklugen« Führern der II. und der zweieinhalbten Internationale muss man auf jede Dummheit gefasst sein), bei dieser Rechnung sei das Proletariat Europas und Amerikas in die revolutionären Kräfte nicht einbezogen, so geben wir zur Antwort: Die eben erwähnten »superklugen« Führer argumentieren immer so, als ob sich aus dem Umstand, dass neun Monate nach der Empfängnis die Geburt des Kindes zu erwarten ist, die Möglichkeit ergäbe, sowohl Stunde und Minute der Geburt als auch die Lage des Kindes bei der Geburt sowie den Zustand der Gebärenden während der Geburt und den genauen Grad der Schmerzen und Gefahren, die Kind und Mutter durchzumachen haben, zu bestimmen. (…)

In der gegenwärtigen äußerst schwierigen Situation wäre Selbstbetrug für die Revolutionäre von größtem Schaden. Obwohl der Bolschewismus zu einer internationalen Kraft geworden ist, obwohl es in allen zivilisierten und fortgeschrittenen Ländern schon wieder neue Chartisten, neue Varlins, neue Liebknechts gibt, die sich als legale (…) kommunistische Parteien entwickeln, so bleibt dennoch die internationale Bourgeoisie vorläufig immer noch unvergleichlich stärker als ihr Klassengegner. Die Bourgeoisie, die ihr Möglichstes getan hat, um die Geburt zu erschweren, um die Gefahren und Qualen der Geburt der proletarischen Macht in Russland zu verzehnfachen, ist noch in der Lage, Millionen und Abermillionen Menschen durch weißgardistische und imperialistische Kriege usw. zu Qualen und Tod zu verdammen. Das dürfen wir nicht vergessen. Mit dieser Besonderheit der gegenwärtigen Sachlage müssen wir unsere Taktik geschickt in Einklang bringen. Quälen, foltern und morden kann die Bourgeoisie einstweilen noch ungehindert. Aber den unvermeidlichen und – unter dem welthistorischen Gesichtspunkt betrachtet – gar nicht fernen endgültigen Sieg des revolutionären Proletariats kann sie nicht aufhalten.

N. Lenin: Zum zehnjährigen Jubiläum der Prawda. In: Prawda Nr. 98, 5. Mai 1922. Hier zitiert nach: Wladimir Iljitsch Lenin: Werke, Band 33. Dietz-Verlag, Berlin 1973, Seiten 335–338

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