»Die Ermittlungen werden verschleppt und abgeblockt«
Interview: Henning von Stoltzenberg
Sie demonstrieren auch in diesem Jahr wieder in Dessau, wo Oury Jalloh vor 18 Jahren in Polizeigewahrsam zu Tode kam. Was versprechen Sie sich davon nach so vielen Jahren?
Oury Jalloh wurde am 7. Januar 2005 von Polizisten rechtswidrig festgenommen, illegal inhaftiert, schwer verletzt, an eine feuerfeste Matratze gefesselt und verbrannt. Die erste Verlautbarung der Behörden: Oury habe sich selbst mit einem Feuerzeug angezündet; ein Feuerzeug übrigens, das erst Tage später auftauchte, ohne Spuren der Matratze oder Ourys Kleidung. Wir werden nicht aufhören zu demonstrieren, in Gedenken an Oury Jalloh und alle anderen Opfer von Polizeigewalt! Denn: Oury ist kein Einzelfall, so der Aufruf zur diesjährigen Demonstration. Ständig zeigt sich, dass Beamte keine Hemmungen haben, Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe, ihrer Herkunft, ihrer sozialen oder psychischen Situation zu erschießen oder sonst wie umzubringen.
Ohne die »Initiative in Gedenken an Oury Jalloh« wäre sein Tod vergessen worden. Wir folgen dem Aufruf der Initiative, um immer wieder Druck für eine umfassende Aufklärung aufzubauen. Zusammen mit der Roten Hilfe unterstützen wir ihre Arbeit seit langem. Die jährlichen Demonstrationen begleiten die Recherchen der Initiative, die diese durch Spenden finanziert. Internationale Sachverständige wurden mit forensischen Gutachten beauftragt, die nach und nach Licht ins Dunkel brachten, angefangen mit einer zweiten Autopsie. Nur diese Arbeit hat die Sache überhaupt so bekannt gemacht, dass darüber berichtet wird. Und diese Arbeit trägt maßgebend dazu bei, dass sich mittlerweile fast nirgendwo mehr mit den offiziellen Verlautbarungen der Polizei zufrieden gegeben wird, wenn ein Mensch bei einem Einsatz zu Tode gekommen ist.
Gibt es denn neue Erkenntnisse im Fall?
Im November 2021 wurden die Ergebnisse eines neuen unabhängigen forensischen Gutachtens veröffentlicht. Tatortgetreu wurde die Zelle des Dessauer Reviers rekonstruiert. Diese wissenschaftlichen Versuche zeigen erneut, dass Oury sich nicht selbst angezündet haben kann. Er muss vor seinem Tod mit Brandbeschleuniger übergossen, also ermordet worden sein. Seit langem kommen alle Sachverständigen immer zum gleichen Ergebnis: Es ist ausgeschlossen, dass er sich selbst angezündet hat. Auch das radiologische Gutachten aus dem Jahr 2019, welches belegt, dass Oury vor seinem Tod ein Schädelbruch sowie mehrere Rippenbrüche zugefügt worden waren, passt genau in dieses Bild.
Wie haben die Behörden bisher reagiert?
Die ersten Verfahren verliefen im Sande, ein Richter damals: Polizisten hätten bedenkenlos und grottendämlich falsch und unvollständig ausgesagt. 2017 wurde das erste Mal aufgrund eines Gutachtens der Initiative ein Verfahren wegen Mordes durch den Oberstaatsanwalt in Dessau eingeleitet. Der Fall wurde ihm daraufhin entzogen. Die Bundesstaatsanwaltschaft meinte, sie könne keinen rassistischen Hintergrund der Tat erkennen und wäre nicht zuständig. Die Behörden zeigten nie Eifer bei der Aufklärung des Todes von Oury Jalloh. Die Familie, Freunde von Oury sowie Aktivistinnen und Aktivisten der Initiative dagegen wurden mit Eifer schikaniert, angeklagt und zum Teil abgeschoben.
Ermittlungen werden bis heute gezielt verschleppt und abgeblockt. Beweise wurden aktiv manipuliert, Tatsachen vertuscht. Die Ermittlungen wurden 2018 eingestellt, 2019 lehnte das OLG Naumburg den Antrag auf Klageerzwingung ab.
Was werden die nächsten Schritte sein, um die Aufklärung des Todes von Oury Jalloh durchzusetzen?
Dessen Familie wird Anzeige gegen die Zuständigen der Generalstaatsanwaltschaft Naumburg wegen Strafvereitelung im Amt stellen und fordert auf Grundlage des Brandgutachtens die sofortige Wiederaufnahme der Ermittlungen wegen Mordes. Eine Beschwerde liegt seit zwei Jahren beim Bundesverfassungsgericht. Versagt auch diese Instanz, wird die Familie den Europäischen Gerichtshof anrufen.
Hartmut Brückner ist Sprecher der Gruppe »Gerechtigkeit für Oury Jalloh Hannover«
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