Lobbyist des Tages: Josep Borrell
Von Jörg Tiedjen
Je später der Abend, desto schöner die Gäste, sagt ein bekanntes Sprichwort. Beispiel Josep »José« Borrell i Fontelles. Eigentlich hätte der Außenbeauftragte der EU nicht erst am Donnerstag, sondern schon vor Monaten nach Marokko reisen sollen. Doch dann gab er im August 2022 im spanischen Fernsehen ein Interview, in dem er für ein Unabhängigkeitsreferendum in der Westsahara eintrat. Auch meinte er in dem Gespräch, dass die Entscheidung seines Parteifreunds Pedro Sánchez vom vergangenen Frühjahr, die Hoheit Marokkos über die alte spanische Kolonie anzuerkennen, völkerrechtlich nichtig sei.
Damit zog der Katalane Borrell den Zorn Rabats auf sich. Prompt wurde er von kurz bevorstehenden turnusgemäßen Konsultationen ausgeladen. Wie kommt es, dass er plötzlich in dem nordafrikanischen Königreich höchst willkommen ist, wo seine Ankunft mit einem ebenso langen wie nichtssagenden Interview im Regierungssprachrohr Le Matin gefeiert wird? Natürlich wegen des EU-Skandals, von dem als »Katar-Gate« die Rede ist, obwohl dahinter ein handfestes »Marokko-Gate« steht.
Borrells Sprecher Peter Stano behauptete am Mittwoch, dass es für die Verstrickung Marokkos in die Affäre bisher »nur Vermutungen, aber keine Beweise« gebe. Damit tritt er in die Fußstapfen des EU-Parlaments, das mit dem Finger auf Katar weist und »Haltet den Dieb!« schreit. Von den sogenannten Coleman-Leaks, in denen schon vor Jahren die Arbeitsweise von pro-marokkanischen Lobbyisten – um nicht zu schreiben: Söldnern – wie dem vor einem Monat verhafteten Exparlamentarier Pier Antonio Panzeri enthüllt wurde, hat er wohl nie etwas gehört.
Es bleibt nur ein Schluss: Die Marokko-Lobby ist in der EU so mächtig, dass sie Aufklärung darüber verhindern kann. Wie heißt ein weiterer beliebter Spruch? Manchmal wedelt der Hund nicht mit dem Schwanz, sondern der Schwanz mit dem Hund.
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Der nächste Schritt
vom 06.01.2023