»Solche Systeme scheren sich nicht um Rechtmäßigkeit«
Interview: Gitta Düperthal
Die Polizei arbeitet in einigen Bundesländern bereits mit Software der US-Firma Palantir. Wird diese möglicherweise rechtswidrig angewendet?
Ob es rechtswidrig ist, entscheidet sich danach, auf welcher Grundlage gearbeitet wird. Daten dürfen nur zweckgebunden erhoben und verwendet werden. Der technische Ansatz solcher Systeme ist aber, sich darum nicht zu scheren. Theoretisch könnte auch künstliche Intelligenz angewandt werden. Ein Produkt des US-Unternehmens Palantir ist unter dem Namen Hessendata im Einsatz. Nordrhein-Westfalens Polizei nutzt das System zur »datenbankübergreifenden Analyse und Recherche«. Bayern hat mit dem Konzern einen Rahmenvertrag, um die Polizeidatensoftware dort einzuführen – vermutlich als Vorreiter für andere Bundesländer und den Bund. Nach Auskünften auf eine Anfrage der Linke-Fraktion in Hessen werden dort bislang automatisiert verschiedene Datenbanken der Polizei miteinander verknüpft. Daten aus den sozialen Medien sollen danach manuell eingegeben werden.
Wir kritisieren, dass völlig intransparent ist, wie das System genutzt wird und was es alles kann: Mit welchen Datensätzen wird das Analysesystem verknüpft und befüllt? Durchsucht es etwa Daten von Verbindungen zwischen möglicherweise Tausenden unbeteiligten Personen in den sozialen Medien, die mit erfasst werden? Können mit Videos aus Überwachungskameras gar Bewegungsprofile erstellt werden?
Wie bewerten das Datenschützer?
Im Dezember verhandelte das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe dazu, das Urteil wird in einigen Monaten erwartet. Die Gesellschaft für Freiheitsrechte koordiniert die Klagen, um eine Überwachung und digitale Durchleuchtung von Bürgerinnen und Bürgern zu verhindern. Die Software wird nicht nur im Nachgang von Straftaten angewendet, sondern auch, um präventiv mögliche künftige Gefährdungen oder Gefahrenorte vorherzusagen. Datenschützer befürchten, dass Hessens Innenminister Peter Beuth von der CDU und dessen Sicherheitsapparat mit dem Argument effektiver Terror- und Verbrechensbekämpfung in Grundrechte eingreifen und den gebotenen Schutz von Daten unbescholtener Menschen missachten könnten.
Was sagen Sie zu Beuths Argument, die Software könne hilfreich sein, um Terroranschläge zu verhindern?
Das führt das hessische Innenministerium stets an, die Datenlage ist aber eher dünn. Mit der 2017 beschafften Hessendata konnten jedenfalls rechtsextreme Anschläge nicht verhindert werden: weder der Mord an Walter Lübcke im Juni 2019 noch die rassistischen Morde von Hanau im Februar 2020.
Könnte auf Basis der so erlangten Daten auch der Verfassungsschutz davon Kenntnis erlangen?
In der Theorie sollte nur die Polizei Zugriff auf die Software erhalten. Tatsächlich gibt es aber beispielsweise das »Gemeinsame Terrorismusabwehrzentrum«, wobei sich die Bundes- und Landespolizei und die Verfassungsschutzbehörden eher informell austauschen. Was da an Daten fließt, ist nicht bekannt. Das Zentrum steht in der Kritik, das Trennungsgebot aufzuheben.
Was spricht ansonsten gegen die US-Software?
Palantir steht im schlechten Ruf bezüglich seiner Geldgeber. Das Unternehmen ist mit dem Geheimdienst CIA verbandelt, erhält Geld vom umstrittenen Milliardär und Deutsch-Amerikaner Peter Thiel. Der wiederum pumpt Geld in Startups, die im Verdacht stehen, rechtsextrem motiviert zu sein; er unterstützte Donald Trump und dessen Wahlkampf. Es muss mehr Transparenz her: Wer trägt welche Daten zusammen? Gibt es Abflussgefahren an die USA?
Müsste der Widerstand dagegen künftig besser organisiert werden?
Widerstand gibt es, unter anderem etwa seitens bundesweit aktiver Organisationen wie dem Chaos Computer Club, der Gesellschaft für Freiheitsrechte, den Piraten, Vereinen wie Digitalcourage oder Digitale Gesellschaft sowie auch unserer Initiative in Hessen. Er ist aber nicht so breit getragen, wie zum Beispiel zwischen 2007 und 2009 die Proteste gegen die Datenvorratsspeicherung. Um viele Leute auf die Straße zu bringen, müssen wir verdeutlichen, dass es darum geht, den Überwachungsstaat zu verhindern.
Roman Peters ist aktiv bei der Initiative »Die Datenschützer Rhein-Main« (DDRM)
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