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Aus: Ausgabe vom 06.01.2023, Seite 4 / Inland
Streit ums Polizeigesetz

Stübgen schiebt Frauen vor

Brandenburg: CDU-Innenminister will bei Fällen häuslicher Gewalt Einsatz von Bodycams in Wohnungen erlauben und ärztliche Schweigepflicht aussetzen
Von Kristian Stemmler
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Einem Innenminister sind bekanntlich alle Vorwände recht, um die Polizei weiter zu ermächtigen (Symbolbild)

In der Brandenburger Regierungskoalition aus SPD, Bündnis ­90/Die Grünen und CDU geraten letztere immer wieder aneinander. Aktuell ist ein Streit um einen Gesetzentwurf von Innenminister Michael Stübgen (CDU) entbrannt, der mehr Befugnisse der Polizei im Einsatz bei Fällen häuslicher Gewalt vorsieht. Stübgen klagte laut einem Bericht vom Donnerstag gegenüber der Nachrichtenagentur dpa, dass Sozialministerin Ursula Nonnemacher (Grüne) das Gesetz blockiere.

Der Entwurf aus dem Innenministerium sieht unter anderem vor, dass Polizisten bei solchen Einsätzen mit einer sogenannten Bodycam das Geschehen aufzeichnen dürfen und Notärzte in diesen Fällen von ihrer ärztlichen Schweigepflicht entbunden werden. Ferner sollen künftig für »potentielle Gewalt- und Sexualstraftäter« in Hochrisikofällen auch elektronische Fußfesseln möglich sein. Täter sollen laut dem Entwurf nicht nur zehn Tage, sondern bis zu zwei Wochen lang aus der gemeinsamen Wohnung verwiesen werden können. Stübgen behauptete gegenüber dpa, die vorgesehenen Maßnahmen seien notwendig, weil Frauen oft Angst hätten, Anzeige gegen gewalttätige Partner zu erstatten.

Nonnemacher berief sich dagegen auf eine Passage im Koalitionsvertrag. Darin heißt es, man plane »keine umfassende Novellierung des Polizeigesetzes«. Durch den Gesetzentwurf sollten aber verschiedene Gesetze geändert werden, unter anderem das Polizeigesetz, das den Einsatz von Bodycams in Wohnräumen bislang nicht erlaubt. Zwar sei der Schutz von Frauen und Kindern gegen Gewalt ein sehr wichtiges Anliegen der Landesregierung, erklärte Nonnemacher. Das »ernste Thema« tauge aber nicht dafür, die Befugnisse der Polizei immer weiter auszudehnen, so die Ministerin. Das Grundgesetz schütze die Unverletzlichkeit der Wohnung und nach dem vorliegenden Gesetzentwurf diene die Ausweitung »nicht dem Schutz von Frauen oder Opfern häuslicher Gewalt«. Zu Stübgens Vorstoß, die (not-)ärztliche Schweigepflicht aufheben zu dürfen, äußerte sich die Fachärztin Nonnemacher weniger klar. Die Aufhebung halte sie für eine komplexe Frage, sagte die Grünen-Politikerin. Die Schweigepflicht sei ein »hohes Gut und die Basis für das besondere Vertrauensverhältnis zwischen Arzt oder Ärztin und Patientin«.

Seitens der SPD-Fraktion hält man sich bedeckt. Sie könne noch keine fundierte Bewertung des Gesetzentwurfs vornehmen, erklärte Sprecherin Katja Schneider am Donnerstag gegenüber junge Welt. Das Dokument habe das Parlament noch nicht erreicht. Wie Nonnemacher richtig ausgeführt habe, gehe es bei der Auseinandersetzung um grundsätzliche Fragen, bei denen sorgfältig abgewogen werden müsse.

Die Fraktion von Die Linke, seit dieser Legislatur nicht mehr an der Regierung beteiligt, lehnt den Gesetzentwurf ab. Er enthalte allein Maßnahmen zur Strafverfolgung, »die weit über das rechtsstaatlich Zulässige hinausgehen und den Schutz von Frauen vor häuslicher Gewalt sogar gefährden«, erklärte Marlen Block, innenpolitische Sprecherin der Fraktion, gegenüber jW. Stübgen gehe es mit dem Entwurf um einen deutlichen Ausbau polizeilicher Befugnisse. Das treffe bei der Video­aufzeichnung mittels Bodycams in Wohnräumen genauso zu wie bei dem grundrechtsintensiven sowie zwecklosen Einsatz elektronischer Fußfesseln für sogenannte Gefährder.

Die Erfahrungen mit diesen zeigten vielmehr, dass sich Gewalttaten damit gerade nicht verhindern lassen, so Block. Richtig sei es, die Auflagen für solche Täter bei Platzverweisen, Wohnungsverweisungen und Rückkehrverboten konsequent umzusetzen und den Opfern häuslicher Gewalt zu helfen, sich aus dem gewalttätigen Umfeld zu lösen. Das erreiche man aber nicht über die Ausweitung polizeilicher Befugnisse.

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