»Der eigene Partner ist oft der gefährlichste Mensch«
Interview: Gitta Düperthal
Im niedersächsischen Celle hat die Ortsgruppe von »Gemeinsam kämpfen« vor dem Jahreswechsel mit einer Mahnwache einer 78jährigen Frau gedacht, die von ihrem Ehemann am 12. Dezember 2022 im nahegelegenen Lachendorf getötet wurde. Was ist Ihnen über diesen Femizid und weitere frauenfeindliche Morde in der Umgebung bekannt?
Bundesweit wird in Deutschland jeden dritten Tag eine Frau von ihrem Partner oder »Ex« umgebracht. Die Dimension frauenfeindlicher Attacken ist noch größer. Täglich überleben mehrere Frauen einen solchen Angriff. Besagten Mord stufen wir als Femizid ein, weil der Ehemann laut Lokalmedien die 78jährige ermordete. Er sei »von ihr genervt« gewesen. Das zeigt, wie niedrig ein Beweggrund sein kann, eine Frau umzubringen.
Klassische Femizide geschehen etwa auch, wenn der Gatte sich »gekränkt« sieht, weil die Frau sich scheiden lassen will. So wurde die aus dem nahe Celle gelegenen Wathlingen stammende 35jährige Esra im Mai 2022 von ihrem Ehemann in Burgdorf auf der Straße mit 13 Messerstichen erstochen, als sie unterwegs zum Scheidungsanwalt war. 2021 attackierte ein Mann im Celler Stadtteil Neustadt seine Frau mit einer Axt. Bei der 2008 verschwundenen Mandy Müller in Celle muss nach Ermittlungen vermutet werden, dass sie im Haus ihres Mannes gewaltsam zu Tode kam. Häufig sind Femizide das Ende einer Spirale aus Unterdrückung und Gewalt.
Was ist der Hintergrund für diese Misogynie?
Auch in der BRD haben patriarchalische Strukturen Bestand. Der eigene Partner ist oft der gefährlichste Mensch für Frauen; der eigene Haushalt der gefährlichste Ort. Während der Pandemie stieg die Gewalt gegen sie entsprechend an, weil sie häufig auf ihr Zuhause zurückgeworfen waren. Dennoch wird all das quasi als Normalität hingenommen, löst kaum einen Aufschrei aus. Die Bild schreibt von einer »Familientragödie« oder einem »Beziehungsdrama« und lastet der Frau beim Tötungsdelikt gegen sie so eine Mitschuld an. Gewalt gegen Frauen darf jedoch nicht verharmlost werden, gar auf gesellschaftliche Akzeptanz stoßen.
Wir haben immerhin mit unserer Arbeit erreichen können, dass der Begriff »Femizid« neuerlich etwa im Lokalblatt Cellesche Zeitung auftaucht. Juristisch herrscht hierzulande zuviel Verständnis für die Täter vor: War er vielleicht schuldunfähig, hat er in der Beziehung gelitten, hat ihn eine prekäre wirtschaftliche Lage dazu gebracht, etc.? In Spanien ist man weiter und wertet Gewalt gegen Frauen als gesellschaftliches Versagen. Die Gesetzgebung zum Schutz für Frauen wurde dort verschärft.
Sehen Sie die Bundesregierung in der Verantwortung?
Laut Koalitionsvertrag will die Ampelregierung »einen bundeseinheitlichen Rechtsrahmen« für eine verlässliche Finanzierung von Frauenhäusern sicherstellen, das Hilfesystem »bedarfsgerecht« ausbauen. Tatsächlich gibt es aktuell aber bundesweit nur 7.000 Frauenhausplätze. Auf Berechnungsgrundlage der Istanbul-Konvention fehlen circa 15.000. Der ganze Sektor ist chronisch unterfinanziert, es gibt zu wenige Sozialarbeiterinnen. Frauen müssen abgewiesen werden. In Celle, wo es zwei Frauenhäuser gibt, fragte eines kürzlich bei uns an, ob wir ehrenamtlich beim Renovieren helfen können!
Ist das lokalpolitisch ein Thema?
Was Soziales und Frauenrechte angeht, ist der Celler Oberbürgermeister Jörg Nigge von der CDU kaum ambitioniert.
Wie kann man der gesellschaftlichen Frauenfeindlichkeit langfristig politisch entgegenwirken?
Wir müssen das Patriarchat abschaffen. Unser Ziel ist ein demokratischer Konföderalismus nach Abdullah Öcalan. Er betonte, dass der Grad der Befreiung der Frau Maßstab für die der ganzen Gesellschaft sei. Wir beziehen uns auf die Frauenrevolution in Rojava in Nordsyrien, wollen paritätisch besetzte Rätestrukturen, wie es sie dort gibt. Im Kapitalismus wird jedoch der soziale Sektor kaum wertgeschätzt, weil sich damit nichts verdienen lässt.
Malea Jansen (Name der Redaktion bekannt) ist Sprecherin der Gruppe »Gemeinsam kämpfen – feministische Organisierung für Selbstbestimmung und demokratische Autonomie«
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