Fehlender Verfolgungseifer
Von Bernhard Krebs, Köln
Es ist klirrend kalt. Zumindest für das klimatisch eher milde Rheinland. Und so fand »nur« ein gutes Dutzend dick eingepackter Unterstützer am Donnerstag den Weg vor das Gebäude der Kölner Staatsanwaltschaft. Dort übergaben der »Dachverband der Kritischen Aktionärinnen und Aktionäre« und die Initiative »RWE-Tribunal« eine Liste mit 4.300 Unterschriften an einen Vertreter der Behörde. Die Forderung: Die Staatsanwaltschaft solle endlich konsequent einer Strafanzeige von 15 Juristen gegen die RWE Power AG nachgehen.
»Leitende Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und aufsichtführende Personen« von RWE Power hätten mit der »klimaverändernden, umweltzerstörenden und gesundheitsschädlichen Förderung und Verstromung von Kohle im Rheinischen Braunkohlerevier bewusst in Kauf genommen, dass in den letzten zwei Jahrzehnten immer mehr Menschen zu Tode gekommen sind«, so der bei der Anzeige federführende Kölner Rechtsanwalt Heinrich Comes im Gespräch mit junge Welt. Es sei mittlerweile eine wissenschaftliche und rhetorische Binse, dass der Klimawandel menschengemacht sei. »Und da fragt man sich: Von welchen Menschen? Wer ist dafür verantwortlich?«
Der tödlichste Kohlekonzern
Die von den Kohlekraftwerken des Konzerns verursachten Schadstoffemissionen verursachten »selbst bei vorsichtig angewandten Berechnungsmodellen jährlich 1.880 vorzeitige Todesfälle«, sagte Rosa Gierens, Atmosphärenforscherin an der Universität zu Köln, auf der Kundgebung. »Das sind fünf Menschen pro Tag. Damit ist RWE der tödlichste Kohlekonzern in Europa.« Daneben sei RWE Power auch für 30.000 Asthma-Symptom-Tage bei Kindern, für 690 chronische Bronchitiserkrankungen bei Erwachsenen sowie für 1.320 Krankenhauseinweisungen wegen Atemwegs- oder Herzkreislauferkrankungen pro Jahr verantwortlich. Opfer von Extremwetterereignissen wie im Juli 2021 im Ahrtal, wo nach sintflutartigen Regenfällen mindestens 144 Todesopfer und hunderte Verletzte beklagt wurden, sind da noch gar nicht eingerechnet.
Besonders dramatisch seien die Folgen der Kohleverstromung für Kinder, sagte der Kölner Kinderarzt Christian Döring. »Dies beginnt bereits mit einer Feinstaub-belasteten Schwangerschaft.« Die DNA-schädigenden und krebserregenden Atemgifte, die bei der Kohleverstromung entstünden, gelangten »über den Mutterkuchen in die Zellkerne der ungeborenen Babys«. Die Folge sei eine erhebliche Zunahme »untergewichtiger Mangel- und Frühgeburten«.
In der Einflusssphäre
Erstattet worden war die Anzeige bereits Ende September, doch bislang ohne Reaktion seitens der Kölner Behörde. Erst wenige Tage vor der Übergabe der Unterschriften hatten Comes und seine Mitstreiter erfahren, dass die Kölner Staatsanwaltschaft das Verfahren bereits Mitte November an ihre Schwesterbehörde in Essen abgegeben hatte. Gleiches war bereits zuvor laut Markus Dufner, Geschäftsführer vom »Dachverband der Kritischen Aktionärinnen und Aktionäre«, mit zwei gleichlautenden – in Mönchengladbach und Aachen gestellten – Strafanträgen geschehen.
»Die ducken sich weg. Das ist eine Form strafbarer Beihilfe«, sprach Comes Klartext. Die Behörde müsse Ermittlungen einleiten. »Doch es geschieht nichts.« Die Abgabe nach Essen sei eine »klare Verletzung des Tatort-Prinzips«, wonach eine Straftat von der Behörde untersucht werden müsse, in deren Landgerichtsbezirk eine Tat stattgefunden haben soll, so Comes. Die Tagebaue und Kraftwerke im Besitz des Energieriesen liegen in den Landgerichtsbezirken Mönchengladbach und Aachen; der Sitz ihrer Betreibergesellschaft RWE Power ist in Essen und Köln. Der Mutterkonzern RWE AG hingegen sitzt allein in Essen. Ob in Essen aber entsprechend ermittelt werde, das bezweifelt Dufner. »In der Einflusssphäre von RWE in Essen tut man sich mit Ermittlungen gegen den Konzern offensichtlich eher schwer.« Bereits 2018 war ein Verfahren nach einer Anzeige eingestellt worden. Die Beschwerde dagegen war von der Generalstaatsanwaltschaft in Hamm abgewiesen worden.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Josie M. aus 38448 Wolfsburg (18. Dezember 2022 um 16:55 Uhr)Vielen Dank für diesen Bericht über den fehlenden Verfolgungseifer der Justizbehörden gegen den doch erwiesenen Klimaschädling RWE und die Auflistung der Gesundheitsschäden, insbes. durch den von diesem Konzern betriebenen Braunkohleabbau. Tatsächlich freute es mich auch zu lesen, dass der Kölner Rechtsanwalt Heinrich Comes die Sache federführend vertritt und so wahrnehmen zu können, dass es ihn noch gibt und er sich tatsächlich immer noch engagieren kann. Er verdient wirklich unser aller Unterstützung.
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