Lieber wieder Kind sein
Von Christina Mohr
Hörer in fortgeschrittenem Alter werden sich mit Greta Kline alias Frankie Cosmos in einem süßen, verwirrenden Time Tunnel wiederfinden: Auf »Inner World Peace« verhandelt die (immerhin schon) 28jährige Tochter des Hollywoodschauspielerpaares Phoebe Cates und Kevin Kline die Unwägbarkeiten des Erwachsenwerdens bzw. -seins. Ihre zart gesungenen Worte bettet sie in slackermäßigen Indiepoprock im Geiste der Lemonheads und Juliana Hatfields, verbunden mit Ausflügen in elektronifizierte Dreampop-Gefilde à la Stereolab. Das klingt vertraut und doch weit weg, ein bisschen surreal und pastellfarben getönt.
Seit einiger Zeit wird Kline als jugendliches Allroundtalent gefeiert, das neben den musikalischen Projekten – zunächst als Ingrid Superstar und unter ihrem bürgerlichen Namen, später mit dem New Yorker Bandkollektiv Frankie Cosmos – Filme dreht, Gedichte schreibt usw. Mit Frankie Cosmos veröffentlichte Kline vier Alben in fünf Jahren. Möglicherweise ging alles ein bisschen schnell oder war zuviel auf einmal, denn Klines aktuelle Lyrics zeugen von Erschöpfung und der Suche nach sich selbst. Inklusive des Wunsches, wieder ein sorgloses Kleinkind zu sein: »Don’t feel strong enough for unnamed scenarios / How can you love so much / Mac ’n’ cheese feed me broccoli«, singt sie in »Prolonging Babyhood«, und weiter, »I don’t wanna feed myself / Don’t wanna think about the future.«
Die Frage nach einem Rezept für gelingendes Erwachsenwerden stellt sich oft auf »Inner World Peace«, wenn auch von vornherein klar ist, dass es keines gibt. Man legt halt irgendwie los und wurstelt sich voran, vielleicht klebt man sich wie im Song »One Year Stand« wie ein Tonklumpen an jemand anderen, um zu einer Form zu finden. Dieses Konzept ist nicht verlässlich: »Magnetic Personality« handelt vom Verschwinden juveniler Zauberkraft, die beim Versuch, im Alltag zu funktionieren, auf der Strecke geblieben ist.
Kline liebt bildliche Vergleiche aus dem kulinarischen Bereich: Sie beschreibt sich als verlassenen Obststand und als Pfanne, in der die alte Würzmischung spürbar bleibt, egal wie viele neue Gerichte man ausprobiert. Im überschwenglichen »Empty Head« wird jemand wie ein profaner Kaffeebecher mitgenommen, obwohl die Protagonistin gar kein Auto hat (okay, das »Pick up«-Wortspiel funktioniert wohl nur im Englischen). Frankie Cosmos begnügt sich nicht mit egozentrischer Nabelschau. Sie ist auf dem Weg. Wohin, wird sich noch zeigen. Die Schwierigkeit der Selbstfindung bei gleichzeitigem Spaß am Suchen zeigt sich am deutlichsten in »Aftershook«: Im Text geht es um die Balance von Emotionalität und notwendiger Akzeptanz der Vergangenheit. Darum herum skizzieren Klines Bandkollegen Alex Bailey (Bass), Keyboarderin Lauren Martin und Schlagzeuger Luke Pyenson psychedelische Jazz-Fragmente, die allmählich von handfesteren Strukturen abgelöst werden. Als führte aus dem Vagen und Vernebelten doch so etwas wie ein Weg, raus aus dem Tunnel.
Frankie Cosmos: »Inner World Peace« (Sub Pop/Cargo)
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