McCarthy-Methoden in Südwest
Von Nick Brauns
Kritiker der israelischen Besatzungspolitik – selbst jüdische Israelis – haben es in Deutschland schwer, Gehör zu finden. Denn regelmäßig kommt es zur Kündigung von Räumen und Absagen von Veranstaltungen. Vorausgegangen sind in der Regel Denunziationen der angekündigten Referenten als vermeintlicher Antisemiten durch sogenannte Antideutsche, Israel-Lobby-Verbände oder staatliche Antisemitismusbeauftragte. Als Beleg reicht eine nur vermutete Nähe der Vortragenden zur Israel-Boykott-Kampagne BDS, die Israel zur Einhaltung von UN-Beschlüssen bezüglich der Palästinenser bewegen soll, oder die Benennung Israels als Apartheidstaat. Diese Einstufung nimmt etwa die Menschenrechtsorganisation Amnesty International vor.
Als besonders rühriger Denunziant erweist sich der Religionswissenschaftler Michael Blume, seines Zeichens Beauftragter der baden-württembergischen Landesregierung gegen Antisemitismus. So sagte die Bildungsgewerkschaft GEW zuletzt nach Blumes Intervention einen für Ende Oktober in Heidelberg geplanten Vortrag des in Israel geborenen Politikwissenschaftlers Shir Hever zur Lage von Kindern unter der israelischen Besatzung ab.
Mehr Mut zeigte die Volkshochschule (VHS) Offenburg. Hier hatte ein für den 17. November angekündigter Vortrag des Pax-Christi-Mitgliedes Peter-Michael Kuhn über Christen in Palästina den Antisemitismusbeauftragten auf den Plan gerufen. Seinem Büro sei aus der »Bürgerschaft der Stadt Offenburg die Befürchtung zugetragen« worden, dass im Rahmen dieser Veranstaltung BDS-nahe Positionen verbreitet werden können, schrieb Blume am 2. November in einem jW vorliegenden Brief. So werde im Ankündigungstext auf den Aufruf »Ein Schrei nach Hoffnung« palästinensischer Christen aufmerksam gemacht. In diesem – im VHS-Veranstaltungshinweis nicht enthaltenen – Aufruf werde Israel als Apartheidstaat bezeichnet, und es wird zur aktiven Unterstützung von BDS aufgerufen. Blume verweist darauf, dass die BDS-Kampagne 2018 vom Landtag in Stuttgart als antisemitisch verurteilt wurde.
Die VHS ließ sich von dem mit dem Schriftzug »Staatsministerium« und Staatswappen im Briefkopf versehenen Schreiben des Beamten nicht einschüchtern. Der Vortrag konnte vergangene Woche ohne Zwischenfälle stattfinden. Zuvor hatten die Mitarbeiter der Volkshochschule Blumes Brief an Kuhn weitergeleitet, der ihn Hever zur Veröffentlichung überließ. »Wir können hier sehen, wie der McCarthyismus in Deutschland funktioniert und welche Methoden Blume anwendet, um im Namen der Antisemitismusbekämpfung Meinungen zum Schweigen zu bringen, die ihm nicht gefallen«, meinte der Wissenschaftler, der der Gruppe »Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost« angehört, am Donnerstag gegenüber jW.
Ebenso wie der in den 50er Jahren durch seine Hexenjagd auf vermeintliche Kommunisten bekannt gewordene US-Senator Joseph McCarthy habe Blume im Grunde gar keine Vollmacht, Veranstaltungen zu verbieten oder Personen auszuladen. »Statt dessen wird zu Methoden der Einschüchterung und des geheimen Diskurses sowie zum Vorwurf der Kontaktschuld gegriffen«, erklärte Hever. Damit würden Personen für etwas bestraft, »was sie noch gar nicht getan haben«. Die GEW weigert sich übrigens bis heute, Hever das Schreiben Blumes zu zeigen, so dass dieser keine Möglichkeit hat, sich gegen darin getätigte Vorwürfe zu verteidigen.
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