Gefechte hier, Gespräche da
Von Frederic Schnatterer
Bis zu einem friedlichen Kolumbien ist es noch ein weiter Weg. Das wurde am Wochenende erneut deutlich: Am Sonnabend kamen bei Gefechten zwischen bewaffneten Gruppen im Südwesten des Landes mindestens 18 Menschen ums Leben. Wie die staatliche Menschenrechtsorganisation Defensoría del Pueblo am Sonntag (Ortszeit) mitteilte, waren in den Ortschaften Las Delicias und Los Pinos Mitglieder der Comandos de la Frontera (Grenzkommandos) und des Frente Primero Carolina Ramírez (Erste Front Carolina Ramírez) aufeinandergetroffen. Die NGO Indepaz berichtete im Kurznachrichtendienst Twitter außerdem von rund 30 Familien, die durch die Auseinandersetzungen vertrieben worden seien.
Die Dörfer sind beide Teil der Gemeinde Puerto Guzmán im Departamento Putumayo nahe der Grenze zu Ecuador, in großen Teilen eine unwegsame Region. Das macht sie für den Schmuggel von Drogen und anderen Gütern besonders interessant. In diesen scheinen insbesondere die sogenannten Grenzkommandos verstrickt zu sein. Wie es auf der für die Erforschung des organisierten Verbrechens in Lateinamerika und der Karibik spezialisierten Website »Insight Crime« heißt, setzt sich die Gruppe aus ehemaligen Kämpfern der früheren Guerilla FARC-EP sowie Paramilitärs zusammen. Der Frente Carolina Ramírez ging aus Mitgliedern der ersten Front der FARC hervor, nachdem die Organisation im Zuge des Friedensabkommens mit der kolumbianischen Regierung 2016 den bewaffneten Kampf aufgegeben hatte.
In einer Erklärung, die unter anderem per Twitter verbreitet wurde, fordert das Menschenrechtsnetzwerk des Putumayo die kolumbianische Regierung dazu auf, angesichts der Gefahren für die Zivilbevölkerung mehr »Präsenz« zu zeigen. Auch die staatliche Menschenrechtsorganisation erinnerte in ihrer Mitteilung daran, dass sie Bogotá wiederholt auf das Fehlen von Sicherheitskräften aufmerksam gemacht habe. Zudem appellierte die Stelle an die bewaffneten Gruppen, ihren Willen zum Frieden zu zeigen. Wie die Nachrichtenagentur AFP berichtete, hatten zumindest Abgesandte des Frente Carolina Ramírez zuvor Vertreter der kolumbianischen Regierung getroffen, um über einen Waffenstillstand zu sprechen. Um eine bilaterale Waffenruhe zu ermöglichten, sollten daher auch Angriffe auf Einsatzkräfte eingeschränkt werden.
Die Regierung von Präsident Gustavo Petro, die seit Anfang August im Amt ist, strebt Friedensabkommen mit allen bewaffneten Akteuren im Land an. Denn: Trotz des 2016 mit den FARC-EP geschlossenen Abkommens kann von einer Befriedung des Landes keine Rede sein. Vielmehr existiert eine Vielzahl bewaffneter Akteure: von der linken Nationalen Befreiungsarmee (ELN) – der größten, weiter aktiven Guerillagruppe – über ehemalige Kämpfer der FARC, die die Waffenniederlegung abgelehnt hatten, bis hin zu in den Drogenhandel verstrickten und/oder mit Großgrundbesitzern und Unternehmern verbandelten Paramilitärs. Das Schlagwort, mit dem Petro bereits während des Wahlkampfs hantiert hatte, ist der »totale Frieden«. Anfang November unterzeichnete der Staatschef ein gleichnamiges Gesetz, das es seiner Regierung erlauben soll, rasch Verhandlungen mit den diversen Gruppen aufzunehmen.
Ein erster wichtiger Schritt auf dem Weg zum »totalen Frieden« wurde derweil am Montag (nach jW-Redaktionsschluss) gemacht. In der venezolanischen Hauptstadt Caracas trafen sich Vertreter der kolumbianischen Regierung sowie der ELN, um wieder offiziell miteinander zu reden. Mit am Tisch saßen zudem Vertreter der Vereinten Nationen und der katholischen Kirche sowie der Garantiemächte Venezuela, Norwegen und Kuba. Der damalige rechte Präsident Iván Duque hatte den Dialog mit der ELN 2019 verlassen, nachdem bei einem Autobombenattentat auf eine Polizeikadettenschule in Bogotá 22 Personen getötet und 68 verletzt worden waren. Nun sollen sie an dem Punkt wieder aufgenommen werden, an dem sie abgebrochen worden waren.
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