Apartheidkritik nicht erwünscht
Von Nick Brauns
Über »Besatzung und Widerstand – Was hat Palästina mit uns zu tun?« wollte die Kommunistische Organisation (KO) am Mittwoch in der thüringischen Universitätsstadt Jena diskutieren. Als Referent war der israelisch-deutsche Historiker und Soziologe Moshe Zuckermann angekündigt. Der emeritierte Dozent der Universität Tel Aviv, jW-Lesern als Autor und Interviewpartner dieser Zeitung bekannt, gilt als scharfer Kritiker der israelischen Politik. Er spricht von »knallharter Apartheid« gegenüber den Palästinensern. Mit der »Antisemitismuskeule« solle Kritik am israelischen Staat verhindert werden, beklagt Zuckermann aus eigener Anschauung. So versuchen dessen prozionistische Gegner in Deutschland regelmäßig, Auftritte des von ihnen als »linker Antisemit« oder »selbsthassender Jude« diffamierten Wissenschaftlers zu verhindern. So auch in Jena.
Zwar hatte die KO bereits im Juli eine Zusage erhalten, dass die Veranstaltung im »Internationalen Centrum« des Studierendenrates der Universität Jena stattfinden könne. Doch dort wurden im September Bedenken angemeldet. Der Begriff »Apartheidregime« in der Ankündigung lasse darauf schließen, dass »antisemitisches Gedankengut verbreitet wird«, schrieb eine Mitarbeiterin. Nachdem die KO darauf verwiesen hatte, dass der Apartheidvorwurf auch von Amnesty International erhoben werde, wurde die Raumkündigung letztlich damit begründet, dass es nicht ginge, »wenn Gruppierungen die Räumlichkeiten von öffentlichen Institutionen nutzen, die man als BRD-Imperialismus diffamiert und als Teil des bürgerlichen Staates zerschlagen will«.
Als neuer Veranstaltungsraum wurde der vom Studierendenwerk geförderte Projektraum »Emils Ecke« in Jena-Lobeda reserviert. Hier erfolgte eine Raumkündigung kurzfristig am Veranstaltungstag. Vorausgegangen war eine Diffamierungskampagne von sich als »links« und »antifaschistisch« gebenden Gruppierungen, die zum Stören der Veranstaltung aufgerufen hatten. Besonders tat sich dabei der Thüringer Ableger des Bundes Deutscher Pfadfinder_innen (BDP) hervor. Die KO versuche, »den israelsolidarischen Konsens der linken Strukturen in Jena zu brechen«, beklagte der Verband auf der Fotoplattform Instagram. Einen solchen versuchen die »Antideutschen« als haupt- oder ehrenamtliche Mitarbeiter eines Großteils der Veranstaltungszentren in der Universitätsstadt seit Jahren herzustellen. Wer aus diesem erzwungenen Konsens ausschert – wie etwa das »Café Immergrün« vor zwei Jahren mit einer Fotoausstellung zu Palästina – sieht sich Anfeindungen und Drohungen ausgesetzt.
»Solidarität mit Jüdinnen, Juden und Israel« forderte der BDP mit Blick auf die KO-Veranstaltung ein. Dass dort mit Zuckermann ein jüdischer Israeli und Sohn von Holocaustüberlebenden sprechen sollte, unterschlug der Verband wohlweislich. Auch eine »Dissens-Antifa Erfurt« erwähnte auf Twitter lediglich eine »autoritär-kommunistische Sekte«, die »Raum für ihren israelbezogenen Antisemitismus« erhalten habe. »Gut so«, kommentierte die Thüringer Landtagsabgeordnete Katharina König-Preuss, »Sprecherin für Antifaschismus« der Fraktion Die Linke, auf Instagram die Absage der Veranstaltung »nach deutlicher Kritik«.
Als reine Onlineveranstaltung mit über 50 Teilnehmern fand die Diskussionsveranstaltung, zu der Zuckermann aus Israel zugeschaltet wurde, am Mittwoch abend dennoch statt. »Mit dem Vorwurf des Antisemitismus und ›Stalinismus‹ haben sie versucht, uns zum Schweigen zu bringen. Damit stellen sie sich letztlich in den Dienst des deutschen Imperialismus«, kommentierte Feliks von der KO Jena am Donnerstag gegenüber jW.
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Leserbrief von Reinhard Hopp aus Berlin (18. November 2022 um 18:34 Uhr)Was würden Friedrich Schiller, einst Geschichtsprofessor in Jena, und Heinrich Heine, exilierter Exjude, wohl dazu sagen? Wo sind wir in diesem Land bloß wieder angekommen? Wenn mir das jemand in den 1960/70er Jahren gesagt hätte! Und wohin werden wir weiterhin wohl noch abdriften?
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