Polen rüstet auf
Von Reinhard Lauterbach, Poznan
Die liberale Warschauer Gazeta Wyborcza würdigte den polnischen Unabhängigkeitstag am Freitag mit einer Sonderbeilage zur »Sicherheit Polens«. Zu einem Bild, das Verteidigungsminister Mariusz Blaszczak vor einer Phalanx von Panzern zeigte, stellte das durchaus NATO-fromme Blatt fest: »Wir rüsten auf, als ob Polen Russland angreifen wollte.«
Tatsächlich reagiert das Land geradezu stolz auf seine neue Rolle als NATO-Frontstaat in der Konfrontation mit Russland. Die Armee soll von derzeit knapp 150.000 auf 300.000 Soldaten vergrößert werden. Dutzende militärische Beschaffungsprogramme sollen sie innerhalb des kommenden Jahrzehnts zur stärksten konventionellen Streitmacht Europas machen. Geld spielt dabei keine Rolle: Derzeit eingeplant sind 80 Milliarden Zloty (17 Milliarden Euro), es wäre allerdings ein Ausnahmefall, wenn sich diese Finanzplanung halten ließe. Ziel ist, dass die polnische Armee beispielsweise mehr Panzer hat, als die Bundeswehr und die Streitkräfte Frankreichs und Großbritanniens zusammen.
Panzer und Raketenwerfer
Zu diesem Zweck kauft das Land ein: 250 US-»Abrams«-Panzer der neuesten Version (M1A2-SEPv3) sind bestellt und sollen bis 2026 geliefert werden. Kostenpunkt: 4,75 Milliarden US-Dollar. Zusätzlich wird Polen von Washington 116 Exemplare der älteren »Abrams«-Version (M1A1-SA) als Ausgleich für die »T-72« aus sowjetischer Produktion bekommen, die Warschau an die Ukraine abgegeben hat. Dazu sollen rund 1.000 neue Schützenpanzer des Modells »Borsuk« aus polnischer Produktion angeschafft werden, die die noch aus sozialistischen Zeiten stammenden sowjetischen Vorgängermodelle ersetzen sollen.
Große Rüstungskäufe plant Warschau außerdem in Südkorea, etwa einen Schützenpanzerwagen, dessen Elektronik mit der der »Abrams«-Panzer kompatibel ist, sowie das in Ostasien entwickelte Schwestermodell der US-»Himars«-Raketenwerfer. Das ist in erster Linie deshalb so, weil sie schnell lieferbar sind, während Polen auf das US-Militärgut teilweise Jahre warten muss: Die US-Rüstungsindustrie warnt ihre Regierung seit einigen Monaten, dass ihre Produktionskapazitäten nicht unbeschränkt seien, und dass die beispiellose Militärhilfe für die Ukraine in diesem Jahr die Arsenale weitgehend geleert habe.
Kritik an Einkaufskurs
Interne Kritiker sehen die Gefahr, dass Polen gerade für viel Geld eine Reihe inkompatibler Waffensysteme zusammenkauft. Roman Kuzniar, ehemaliger Sicherheitsberater des Staatspräsidenten Bronislaw Komorowski, stellte beispielsweise die rhetorische Frage, wie Warschau im Konfliktfall die Ersatzteile für die südkoreanischen Panzer oder Raketenwerfer beziehen wolle: »Über die Transsibirische Eisenbahn?« Ähnlich sieht es bei den Drohnen aus, von denen Polen derzeit wegen »dringender operativer Notwendigkeit« Hunderte bestellt: sowohl türkische vom Typ »Bayraktar« als auch US-amerikanische des Modells »Reaper« in zwei Versionen. Außerdem soll die polnische Rüstungsindustrie noch eine eigene Entwicklung liefern, mit der sie sich allerdings im Rückstand befindet. Aus den USA sollen zudem »Apache«-Hubschrauber kommen.
Der Krieg in der Ukraine dient derweil nur zur Begründung der Militarisierung. Tatsächlich sind die Aufrüstungspläne wesentlich älter. So stammt die Bestellung von 32 US-Kampfflugzeugen vom Typ »F-35« und 80 weiteren aus Südkorea beispielsweise aus dem Jahr 2020 – anderthalb Jahre vor dem russischen Angriff.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Gabriel T. aus Berlin (14. November 2022 um 09:34 Uhr)Na ja, dieser Krieg war nicht nur in Polen eine von sehr langer Hand vorbereitete Aktion, auch wenn uns die Presse immer wieder eine spontane Reaktion einzureden versucht.
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