EU militarisiert Cyberraum
Von Matthias Monroy
Die Europäische Union will ihre Fähigkeiten zur Cyberabwehr stärken und dabei auch »aktive Verteidigungsfähigkeiten« entwickeln. Diese sollen dann im Falle eines digitalen Angriffs auf einen Mitgliedstaat gemeinsam eingesetzt werden. So steht es in einer Mitteilung zur »EU-Cyberverteidigungspolitik«, die der EU-Außen- und Sicherheitsbeauftragte Josep Borrell und die EU-Kommission am Mittwoch herausgegeben haben.
Bei der Vorstellung der neuen Strategie am Donnerstag erklärte Borrell, vor allem die russische Intervention in der Ukraine, die von »wiederholten Cyberangriffen begleitet« gewesen sei – »nicht nur auf die Ukraine, sondern auch auf uns« –, mache den Schritt notwendig. In der Mitteilung heißt es, die EU, ihre Bürger und Infrastrukturen müssten gegen eine wachsende Zahl solcher Angriffe gestärkt werden. Diese erfolgten etwa auf Energienetze, Verkehrsinfrastrukturen oder Satelliten im Weltraum.
Die Mitteilung knüpft an frühere Initiativen an. Dazu zählt die zivil-militärische EU-Cybersicherheitsstrategie aus dem Jahr 2020, mit der die EU und ihre Mitgliedstaaten aufgefordert werden, in die »Widerstandsfähigkeit, technologische Unabhängigkeit und Führungsrolle« im Cyberraum zu investieren. Mit Hilfe künstlicher Intelligenz soll Brüssel ein »Cybersicherheitsschutzschild« erhalten. Darauf zielt nun der neue Vorstoß, der vor allem militärische Initiativen vorschlägt. Zur Finanzierung könnten Mittel aus dem Europäischen Verteidigungsfonds oder der Ständigen Strukturierten Zusammenarbeit (SSZ, englisch Pesco) genutzt werden, mit denen die EU die militärische Aufrüstung in den Mitgliedstaaten belohnt. Weitere Gelder könnten aus dem Forschungsfonds »Horizont Europa« vergeben werden.
Im zivilen Bereich hat die EU bereits ein Netzwerk von IT-Notfallteams aufgebaut, nun soll auch das Militär entsprechend ausgerüstet werden. Zudem schlägt die Kommission eine sogenannte Cyberreserve vor, die aus »vertrauenswürdigen« privaten Firmen oder Organisationen bestehen soll. Im Rahmen eines Projekts mit dem Namen »Cydef-X« sollen die Mitgliedstaaten die neuen Fähigkeiten dann in »Cyberverteidigungsübungen« trainieren. Im Mittelpunkt steht die gegenseitige Unterstützung gemäß Artikel 42 Absatz 7 des EU-Vertrages, der den militärischen Beistand im Falle der Bedrohung eines EU-Mitglieds festschreibt. Dies soll auch für Cyberangriffe gelten, eine erste derartige Übung hat Brüssel Anfang dieses Jahres abgehalten.
Der EU-Binnenmarktkommissar Thierry Breton beschrieb die Maßnahmen am Mittwoch als »Abschreckungsfähigkeit im Cyberspace«. Dahinter verbergen sich aber auch Cyberangriffe, die von Kritikern als »Hackbacks« (Antwort auf einen Angriff) bezeichnet werden. Laut Koalitionsvertrag lehnt die Bundesregierung derartige Maßnahmen ab. Es ist deshalb unklar, wie sich Berlin zu der Initiative aus Brüssel verhält.
Die Bundeswehr bereitet sich jedenfalls auf die neuen Tätigkeiten vor. Deutschland hat den Vorsitz beim Aufbau eines europäischen Koordinierungszentrums für den Cyber- und Informationsbereich, das ab kommendem Jahr schrittweise einsatzbereit sein soll und im Rahmen von Pesco gefördert wird. Es soll EU-geführte militärische Einsätze unterstützen, indem es unter anderem geheimdienstliche Informationen auswertet. Zu einem späteren Zeitpunkt sollen von dem Zentrum auch »Operationen« im Cyberraum geplant und durchgeführt werden.
Dabei können sich die Militärs auch auf Informationen von Geheimdiensten stützen. Zur EU-Cybersicherheitsstrategie gehört die Einrichtung einer Arbeitsgruppe für »Cybernachrichtendienste« im geheimdienstlichen Nachrichten- und Lagezentrum der EU (Intcen) in Brüssel. Dieses erhielt in den vergangenen Jahren immer mehr Kompetenzen zur Erkennung und Bewertung von Cyberstörungen. Die Einrichtung, an der aus Deutschland der Bundesnachrichtendienst und der sogenannte Verfassungsschutz mitarbeiten, soll etwa die Urheber eines Cyberangriffs bestimmen. Gegen diese kann dann mit Hilfe der neuen »aktiven Verteidigungsfähigkeiten« zurückgecybert werden.
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