Bis zum äußersten
Von Arnold Schölzel
Am Mittwoch titelte die FAZ: »G7-Staaten finden keine weiteren Partner«. Die nach Elmau eingeladenen Regierungsvertreter Indiens, Indonesiens, Südafrikas, Argentiniens und Senegals weigerten sich, den Sanktionen des Westens, die ihm selbst am meisten schaden, gegen Russland zu folgen. Indonesien hält zudem als Gastgeber des G20-Treffens im November 2022 an der Einladung für Wladimir Putin fest. So sieht eine politische Klatsche aus. Diese macht klar, welche Verschiebungen sich im internationalen Kräfteverhältnis vollzogen haben. In ökonomischen Kennziffern: 2006 repräsentierten die G7 ungefähr zwei Drittel der Weltwirtschaftsleistung, 2022 rund 43 Prozent.
Die NATO-Staaten und ihre Verbündeten sind aber seit fast 75 Jahren gewohnt, unter Führung der USA straflos unbotmäßige Länder in Schutt und Asche zu legen oder sie wirtschaftlich zu erwürgen – angefangen von Korea 1950 bis Afghanistan 2021 und zum Diebstahl der Hälfte russischer Devisenreserven. Gebremst wurde der imperialistische Furor durch die Sowjetunion, seit 1991 war er entfesselt, die Bundesrepublik war und ist seit dem Anschluss der DDR stets bewaffnet dabei.
Nimmt die NATO die Veränderungen in der Welt zur Kenntnis? Gemessen am neuen strategischen Konzept des Paktes lautet die Antwort: Nein. Dem Irrationalismus der absteigenden Gesellschaftsordnung entspricht der Realitätsverlust ihrer politischen Führungen. Sie setzen auf das, was im Englischen »Brinkmanship« genannt wird: eine Politik des äußersten Risikos. Statt 40.000 Soldaten in Bereitschaft für den Krieg gegen Russland zukünftig mehr als 300.000. Dazu kommen neue atomare Waffen sowie – in der Abschlusserklärung des Gipfels nicht erwähnt – die für das kommende Jahr geplante Stationierung neuer US-Hyperschallwaffen in der Bundesrepublik. Die FAZ nennt das treffend »NATOisierung Europas«. Gemeint ist: Der Wille der USA, Europa zum atomaren Schlachtfeld zu machen, ist ungebrochen. Das gilt ebenso für die Bereitschaft der Bundesregierung, das nicht nur zuzulassen, sondern dabei auch noch »Führungsmacht« zu sein.
Bei der Ausdehnung des »Nordatlantik«-Paktes in den Indischen und Pazifischen Ozean, d. h. dem Aufmarsch gegen China, geht es allerdings nicht so schnell voran wie geplant. Auch das machen die Länder des Südens nicht mit. Dort weiß man, wer und was Imperialismus ist. Nun soll zuerst Russland im indirekten Abnutzungskrieg geschwächt und ruiniert werden – eine direkte Konfrontation jederzeit inbegriffen. Die Unterbrechung des Transits nach Kaliningrad durch Litauen auf »Anregung und Vorgabe aus Washington« (so die Sprecherin des russischen Außenministeriums) liefert einen Vorgeschmack. Zündeln heißt die Devise der USA und ihrer regierenden Agenten in Osteuropa. Das wird im Fall Kaliningrad sogar der EU zu riskant. Der Gipfel von Madrid besagt: Es soll noch heißer werden.
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