Botschaft ins Nichts
Von Christian Selz, Kapstadt
Stell dir vor, es ist Videobotschaft, und keiner geht hin: Als der ukrainische Präsident Wolodimir Selenskij am Montag in einer nichtöffentlichen Runde vor der Afrikanischen Union (AU) sprach, wählten sich gerade einmal vier von 55 Staatsoberhäuptern der Kontinentalorganisation ein. Virtuell anwesend waren lediglich die Präsidenten Libyens, der Republik Kongo und der Republik Côte d’Ivoire sowie AU-Präsident Macky Sall, der zugleich Staatschef Senegals ist. Die Suche nach Verbündeten geriet für Selenskij so von vornherein zum Reinfall. Statt dessen wurden einmal mehr die gegenseitigen Interessen deutlich: Die Ukraine will Russland isolieren, die AU-Staaten jedoch brauchen dringend Getreide und Düngemittel.
Fast die Hälfte aller afrikanischen Länder ist abhängig von Weizenimporten aus Russland und der Ukraine. 14 von ihnen erhalten mehr als die Hälfte ihrer benötigten Weizenmengen aus den beiden Ländern. Weil der Krieg in der Ukraine, Wirtschaftssanktionen gegen Russland und Finanzspekulationen mit Lebensmitteln den Preis der Grundnahrungsmittel zusätzlich weltweit in die Höhe getrieben haben, drohen in zahlreichen afrikanischen Ländern Hungersnöte. »Afrika ist gefangen zwischen dem Hammer des Kriegs in der Ukraine und dem Amboss der Sanktionen«, hatte Sall jüngst bereits bei einem Treffen mit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron bemängelt.
Da half es den Afrikanern wenig, dass Selenskij in seiner zehnminütigen Videobotschaft befand, dass »Afrika die Geisel derer« sei, die »den Krieg gegen unseren Staat begonnen haben«, wie die französische Tageszeitung Le Monde ihn am Mittwoch in ihrer englischsprachigen Ausgabe zitierte. »Die Nahrungsmittelkrise hat am 24. Februar begonnen, als die russische Flotte ukrainische Häfen blockierte«, argumentierte der ukrainische Präsident. Das ignoriert den aktuellen Stand der Verhandlungen: Sall hatte sich zuletzt für eine von Russlands Präsident Wladimir Putin vorgeschlagene Lösung stark gemacht, wonach Moskau eine von den Vereinten Nationen überwachte Getreideausfuhr über den ukrainischen Hafen Odessa zulassen würde. Voraussetzung wäre allerdings, dass die Ukraine ihre Seeminen räumt, wozu Kiew nicht bereit ist. Der AU-Präsident hatte bei seinem Besuch in Paris zudem kritisiert, dass die Wirtschaftssanktionen gegen Russland, insbesondere der Ausschluss aus dem internationalen Zahlungssystem SWIFT, den Getreideimport aus Russland zusätzlich erschwerten – und darauf hingewiesen, dass es für die Gaslieferung nach Europa schließlich auch Ausnahmeregeln gebe. In Afrika, dessen Bevölkerung schon bei Coronaimpfstoffen hinter dem globalen Norden und den Gewinninteressen westlicher Konzerne anstehen musste, wächst so das Gefühl, einmal mehr Bauernopfer zu sein – in einem Konflikt, der nichts mit dem Kontinent zu tun hat.
Von Selenskij hörten die vier afrikanischen Staatsoberhäupter keine Antworten auf ihre aktuellen Probleme, sondern lediglich die vage Ankündigung einer »großen ukrainisch-afrikanischen politischen und ökonomischen Konferenz« in nicht näher definierter Zukunft. Selenskij bemühte gar vermeintliche Gemeinsamkeiten als Kolonialisierungsopfer, da Russland versuche, »die Ukraine zu einer russischen Kolonie zu machen«.
Doch die Reaktionen blieben verhalten. »Ich weiß nicht, was genau er von uns erwartet, aber unsere Priorität bleibt die Versorgung mit Getreide und Dünger«, zitierte Le Monde einen nicht namentlich genannten ostafrikanischen Diplomaten. Die AU, die Selenskijs Gesuch einer Videobotschaft zwei Monate lang hinausgezögert hatte, veröffentlichte zu dessen Auftritt nicht einmal eine Meldung.
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