Giffey präsentiert Schlüssel
Von Jan Greve
Diesen Termin hatte sich Berlins Regierende Bürgermeisterin sicher anders vorgestellt: Noch vor der groß angekündigten »Vorstellung und Unterzeichnung des Bündnisses für Wohnungsneubau und bezahlbares Wohnen« am Montag nachmittag musste die SPD-Politikerin Franziska Giffey vernehmen, dass mit dem Berliner Mieterverein ein wesentlicher Akteur seine Unterschrift für das sozialdemokratische Projekt verweigert. Geschäftsführer Reiner Wild sagte dem RBB-24-Inforadio laut am Vormittag veröffentlichtem Bericht, die dort getroffenen Vereinbarungen seien »einfach zu wenig«. Es gebe »sehr viele ›Wir streben an‹ und ›Wir wollen möglich machen‹ und ähnliche Formulierungen«, kritisierte Wild. Da man der Wohnungswirtschaft zu sehr entgegengekommen sei, könne der Berliner Mieterverein den gemeinsamen Beschluss nicht unterzeichnen. Wenige Stunden später legte der »Zentrale Immobilienausschuss« nach: Auch der Lobbyverband könne nicht unterschreiben – weil die Vereinbarungen zu weit gingen.
Ungeachtet der Störgeräusche wurde das 22seitige Papier im Roten Rathaus der Öffentlichkeit vorgestellt. Mit dabei unter anderem: Die von Aktivisten der Berliner Mieterbewegung viel kritisierten Sozialdemokraten Giffey und Andreas Geisel, Senator für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen, zudem Vertreter der Immobilienkonzerne wie Vonovia, der Bezirke sowie von genossenschaftlichen und landeseigenen Wohnungsbauunternehmen.
Giffey sprach von »drei Schlüsseln« – Stichpunkte, mit denen sich die Vereinbarung zusammenfassen lasse. Die Sozialdemokratin hing nach und nach überdimensionierte Schlüsselattrappen an eine Nachbildung des Berliner Bären. Ihre Losungsworte: »Neubau« (bis Ende 2026 sollen 100.000 Wohnungen gebaut werden), »Neuvermietung« (30 Prozent der Wohnungen sollen an Haushalte mit Anspruch auf einen sogenannten Wohnberechtigungsschein gehen), »Schutz« (Mieter mit geringen Einkünften sollen nicht mehr als 30 Prozent ihres Einkommens für die Miete ausgeben müssen).
Auf jW-Nachfrage führte der Geschäftsführer des Mietervereins exemplarisch aus, welche Vereinbarungen es aus seiner Sicht gebraucht hätte: »bei Wiedervermietung eine Nachbesserung der Mietpreisbremse«, »bei energetischer Modernisierung eine verbesserte Kappung der Mieterhöhung«, in Gebäuden mit schlechter Energiebilanz »eine Beteiligung der Vermieter an den Heizkosten«. Dies sei angebracht, weil die »bevorstehenden Zahlungen für Heizung und Warmwasser« laut Wild »vielfach zu erheblichen Nöten führen« werden. Dass der Senat noch einmal nachbessern werde, glaube er nicht. »Dazu war das alles zu anstrengend«, so Wild.
Bei der ersten Sitzung des Bündnisses im Januar hatte Giffey vollmundig erklärt, das gemeinsame Ziel sei »bezahlbarer Wohnraum für alle Berlinerinnen und Berliner«. Der Anspruch: »Kooperation statt Konfrontation und ein gegenseitiges Unterhaken«. »Politiksimulation« nannte Kalle Kunkel, Sprecher der Initiative »Deutsche Wohnen und Co. enteignen«, diesen Ansatz am Montag im jW-Gespräch. Es sei zu befürchten, dass auch der Ausstieg des Berliner Mietervereins nicht dazu führe, dass dieser sozialdemokratische Modus geändert werde. »Nach unseren bisherigen Erfahrungen sind Giffey und Geisel da relativ schmerzfrei«, so Kunkel.
Erst am Wochenende hatte die Regierende Bürgermeisterin einen deutlichen Dämpfer für ihre Politik erhalten. Bei einem Landesparteitag der Berliner SPD wurde sie mit nur knapp 59 Prozent der Stimmen als Kovorsitzende wiedergewählt. Der zweite Landeschef, Raed Saleh, erhielt nur gut 57 Prozent. Zudem sprachen sich die Delegierten mehrheitlich dafür aus, dass sich die SPD für ein Enteignungsgesetz einsetzt, sollte die sogenannte Expertenkommission grünes Licht für die Vergesellschaftung großer Wohnungskonzerne gegen Entschädigung geben. Das Gremium war vom Senat eingesetzt worden, um die Umsetzung des Volksentscheids von »Deutsche Wohnen und Co. enteignen« zu prüfen. Bislang hatte Giffey signalisiert, dass der Senat am Ende über eine mögliche Vergesellschaftung entscheiden werde. Ein weiterer beachtlicher Kurswechsel: Die Berliner SPD hat sich für einen Planungsstopp des A-100-Weiterbaus in Ostberlin ausgesprochen – und teilt somit nun die Position der Koalitionspartner Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke.
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