Tanz mit der Realität
Von Sabine Fuchs
Der 1941 geborene polnische Fotograf, Filmemacher und Kameramann Bogdan Dziworski ist im deutschsprachigen Raum so gut wie unbekannt, obwohl er in Polen als einer der bedeutendsten Fotokünstler der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts gilt. Als Filmemacher ist er mit kurzen Dokumentationen bekannt geworden, als Fotograf ist er wie seine französischen Kollegen Robert Doisneau und Henri Cartier-Bresson ein Vertreter der »humanistischen Fotografie«, die das Alltagsleben der Menschen dokumentiert, anstatt das Außergewöhnliche oder Perfekte zu suchen.
Dass er im Westen bis jetzt mehr oder weniger ignoriert wurde, mag auch daran liegen, dass er vor allem den Alltag im kommunistischen Polen der 1960er bis 1980er Jahre dokumentiert hat, ohne ihn zu denunzieren oder politisch aufgeladene Themen – den Papst, den General, die Solidarnosc-Bewegung – zu bedienen. Auch sein Interesse für Sport und Bewegung, Thema der meisten seiner dokumentarischen Kurzfilme, mag dazu beigetragen haben. Wird dem Genre des Sportfilms doch immer noch gerne ein gewisser Mangel an intellektueller Ernsthaftigkeit unterstellt. Dabei haftet gerade Dziworskis Sport- und Sportlerporträts ein hintergründiger, manchmal fast surrealistischer Humor an, der nichts mit dem neoliberalen Bierernst der perfekt geschulten Leistungssportkörper zu tun hat. Dies zeigte auch der Abend, den das österreichische Filmmuseum Dziworskis filmischem Werk kurz vor der Ausstellungseröffnung widmete.
Szenen mit Franz Klammer
Unter anderem wurde da eine Folge der mehrere Teile umfassenden Reihe »Szenen aus dem Leben eines Mannes« aus dem Jahr 1983 präsentiert, in der Dziworski den Sportler und Künstler Jerzy Orlowski porträtiert, der ohne Arme geboren wurde. Wie in fast allen seinen Filmen ohne Kommentar und mit bewusst künstlicher Tonspur produziert, zeigt Dziworski Momente des Scheiterns und Verzweifelns wie solche des Triumphs über die Schwierigkeiten, mit denen sich Orlowski in Zeiten lange vor dem organisierten paralympischen Sport konfrontiert sah.
Auf besonderes Interesse des österreichischen Publikums stießen die »Skiszenen mit Franz Klammer« – der mittlerweile fast 70jährige gilt ja immer noch als eines der größten Sportidole des Landes. Der ironische Ansatz beginnt schon beim Titel. Wie Dziworski in der Diskussion nach der Präsentation erzählte, hatte sich Klammer kurz vor den Dreharbeiten verletzt und durfte nicht auf die Ski; eine Verschiebung des Drehs kam aus organisatorischen Gründen nicht in Frage.
So beginnt der Film im Wald, wo Klammer unwahrscheinlicherweise mit nacktem Oberkörper und ganz archaisch mit der Axt einen Baum fällt, setzt sich in einem Hotelzimmer fort, wo er – zunächst mit Rennanzug und Skiern an den Füßen – in einer absurd-erotischen Szene von einer Blondine entkleidet wird, zeigt ihn dann im Smoking in einem Restaurant, wo er einen Kellner beobachtet, der immer wieder slapstickartig daran scheitert, ihm eine Flasche Champagner zu servieren. Die wenigen tatsächlichen Skiszenen erinnern mehr an Richard Lesters Beatles-Film »Help!«(1965) als an den modernen Alpinsport. Das Zusammenspiel zwischen Sportstar und Filmemacher funktioniert perfekt, Dziworski zeigt einen höchst selbstironischen Franz Klammer, den man bis dahin so nicht kannte.
Auch in konventionelleren Filmen wie »Fechtmeister« gelingt es Dziworski mühelos, eine Vertrauensbasis mit seinem Protagonisten herzustellen. Der filmische, die Bewegung suchende Blick ist auch den Fotografien anzusehen, ebenso das Interesse für das Gegenüber. »Wo ich auch hingehe, passiert etwas Interessantes. Zuerst nicht, aber wenn man Geduld hat, dann beginnt der Tanz mit der Realität«, hat er seine Herangehensweise einmal beschrieben. Parkszenen, eine Musikkapelle, spielende Kinder – häufig ist die erkennbare Interaktion zwischen den dargestellten Personen das Spektakulärste an den Bildern, die Komposition der Fotografie ergebe sich, so Dziworski, dann ganz von selbst.
Nur zum Vergnügen
Die mühelose Könnerschaft des Fotografen, die in diesen Worten zum Ausdruck kommt, ist um so erstaunlicher, als er sich in erster Linie selbst immer als Filmemacher und Kameramann gesehen hat. Seine Ausbildung absolvierte er an der staatlichen Filmhochschule in Lodz, wo er seit 2002 auch als ordentlicher Professor lehrt. Zur Fotografie kam er, als er Bilder von Henri Cartier-Bresson sah – der genaue und doch spontane Zugang des Franzosen sprach ihn so unmittelbar an, dass er das, was Cartier-Bresson in Frankreich geschaffen hat, selbst für Polen erreichen wollte: das Porträt des Lebensgefühls einer Zeit. Seine Bilder machten ihn schnell bekannt; eine Einladung, der berühmten Fotoagentur Magnum beizutreten, lehnte er nach einiger Überlegung ab: Sein Beruf sei Filmschaffender, fotografieren würde er »nur zum Vergnügen«. Dieses Vergnügen kann man in Wien nun nachvollziehen.
Bogdan Dziworski: »f/5.6«, Leica-Galerie Wien, Seilergasse 14, 1010 Wien, bis 25. Juni
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