Imperialistenträume
Von Sebastian Edinger
Die von Washington und Brüssel forcierte Eilaufnahme der Ukraine in die EU stößt auch in Berlin auf Zustimmung. Dass die vielgepriesenen »europäischen Werte« – Demokratie, Rechtstaatlichkeit und Menschenrechte – dort kaum ausgeprägt sind und gerade im Zuge des Krieges komplett zurückgefahren werden, geschenkt. Kiew hat Rohstoffe zu bieten und viele billige Arbeitskräfte. Das deutsche Kapital frohlockt, denn die verlängerte Werkbank kann Richtung Osten noch länger werden.
Vor allem, so das Kalkül, werden bald viele ukrainische Frauen bereit sein, für ein paar Groschen fast alles zu tun. Ob bei der Fertigung von Vorprodukten in der Heimat oder auf dem Schlachthof, im Pflegeheim und sonstwo in der BRD, wo der Bedarf an Billigarbeitskräften kaum gestillt werden kann. Der Westen ist entschlossen, Russland »bis zum letzten Ukrainer« zu bekämpfen, um Moskau militärisch zu schwächen. So könnte es doch noch was werden mit dem Erhalt der globalen US-Vorherrschaft: Ein wirtschaftlich und ökonomisch ausgeblutetes Russland wird zum abhängigen Anhängsel Chinas, während die USA sich das ungleich potentere Westeuropa unterordnen. Ukrainische »Familienernährer« bleiben dann kaum mehr übrig. Das macht die Frauen anfällig für gnadenlose Ausbeutung.
Doch einer will wieder nicht mitmachen: Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, von Amts wegen nostalgisch zurückblickend auf die Zeiten als die Grande Nation weltpolitisch noch etwas galt. Lange ist es her, und es gehört zur Staatsräson, nach einer imperialen Führungsrolle zu streben. Da hilft es wenig, wenn die EU immer weiter nach Osten ausgedehnt wird. Frankreich braucht keine verlängerte Werkbank und keine Billiglohnkonkurrenz.
Statt immer größer soll die EU nach den Vorstellungen Macrons immer effizienter werden. Nicht noch mehr Problemfälle à la Ungarn und Polen ins Boot holen, sondern ein steuerbares Bündnis immer weiter zusammenschmieden – samt Finanzen und Militär – mit stark zentralisierten Machtstrukturen unter französischer Führung. Deshalb schlägt Macron nun zum einen vor, die Ukraine nicht in die EU aufzunehmen – und wenn möglich auch nicht die Westbalkanstaaten. Statt dessen sollen diese Länder in eine »politische Gemeinschaft« gesteckt werden, eine Art EU-Mitgliedschaft zweiter Klasse ohne Mitspracherechte. Zum anderen will er Änderungen der EU-Verträge, den kleineren Staaten durch Wegfall des Einstimmigkeitsprinzips Einfluss nehmen und eine weitere Integration nach französischem Gusto erleichtern.
Aufgehen wird der Plan nicht. Schon zum Antritt seiner ersten Amtszeit gab Macron den »großen Europäer« und brachte allerlei Vorschläge ins Spiel, die EU-Integration voranzutreiben. Berlin und Washington haben das kassiert und werden es wieder tun. Die haben andere Interessen und mehr Macht. So ist es halt heutzutage um die Grande Nation bestellt.
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