»Die Ambulanzen sind jetzt schon überlastet«
Interview: Gitta Düperthal
Die CDU-FDP-Regierung Nordrhein-Westfalens hat einen neuen Krankenhausplan vorgelegt. Was ist darin festgelegt?
Das zentrale Gutachten für diesen 343 Seiten starken Plan schlägt 18 Prozent weniger Betten vor. Das muss man sich einmal vorstellen: 18.400 Betten sollen in NRW gestrichen werden, 570.000 Patienten pro Jahr ambulant statt stationär behandelt werden. Dabei wurden von 1991 bis 2019 schon einmal 30.000 Betten gekürzt.
Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann, CDU, gibt als Ziel des Plans eine »nachhaltige Stärkung der Krankenhauslandschaft« an.
Das behaupten Gesundheitsminister schon seit 30 Jahren. Tatsächlich geht es aber um Schließung, Zusammenlegung von Kliniken und um Bettenabbau. Ein Plan, welche Kapazitäten in welchen Fachgebieten und in welcher Region benötigt werden, die Aufgaben der Kliniken danach festzulegen – das ist sinnvoll. Inakzeptabel ist aber, dies zu nutzen, um Kahlschlag zu betreiben. In der Vergangenheit wurde die Krankenhausplanung in allen Bundesländern massiv reduziert und mit Hilfe des Preissystems der DRGs (»Diagnosis Related Groups« oder »Fallpauschalen«, jW) die Ökonomisierung des Gesundheitswesens vorangetrieben. Mit dem Ziel, dass nur die Krankenhäuser überstehen, die damit nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten zurechtkommen. Die anderen sollen vom Markt gedrängt werden. Jetzt wird die Planung neu aufgelegt, aber mit den gleichen Zielen.
Wie kommt es, dass das CDU-geführte Gesundheitsministerium kurz vor der Landtagswahl am 15. Mai seine Pläne offenlegt?
Eine seit zwei Jahren laufende Planung jetzt auf Eis zu legen, das wäre auch nicht gut angekommen. Möglicherweise dachte sich Laumann: Der Krankenhausplan bleibt auf dem Tisch, selbst wenn die CDU keine Mehrheit erhalten sollte. Auch die 2021 dafür geschaffenen gesetzlichen Grundlagen bleiben. Das Land hat die konkrete Planung den Krankenkassen und Klinikträgern übertragen und zieht sich so aus seiner Verantwortung zurück.
Wie positionieren sich die anderen Parteien in NRW dazu?
AfD und FDP stimmten 2021 im Landtag für das neue Krankenhausgestaltungsgesetz; Bündnis 90/Die Grünen enthielten sich, die SPD war dagegen. Die Linke kritisiert bekanntermaßen die Zentralisierung und eine damit einhergehende weitere Privatisierung von Kliniken scharf. So werde ein Rückzug aus dem ländlichen Raum sowie die Schließung kleinerer und mittlerer Krankenhäuser weiter vorangetrieben.
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach von der SPD hatte 2019 vorgeschlagen, jede zweite oder dritte Klinik zu schließen. Weniger Kliniken könnten höhere Qualität bedeuten. Könnte NRW eine Blaupause für den Bund werden?
NRW ist Vorreiter. Im Koalitionsvertrag der Ampelregierung wird ein entsprechendes Vorgehen auch bundesweit angestrebt. Für die Qualität ist es gut, wenn ein Krankenhaus eine Operation möglichst oft macht. Solange es aber keine alternativen Strukturen gibt, die die Versorgung in der Fläche sicherstellen und solange die Krankenhäuser nicht für die ambulante Behandlung zugelassen werden, darf es keine Schließung geben. Sonst entstehen Versorgungslücken.
Man stelle sich im ländlichen Raum folgende Situation vor: Du fährst mit dem Opa 40 Kilometer ins Krankenhaus; danach wieder heim, weil der Arzt sagt, dass eine Aufnahme nicht nötig sei. Nachts wird es schlimmer, also fährst du wieder los. Das darf nicht sein! In Städten ist das nächste Krankenhaus zwar schneller zu erreichen, die Ambulanzen sind aber jetzt schon überlastet. Bei der Schließung weiterer Häuser würde sich das verschlimmern. Für Eingriffe, die nicht so dringend sind, gibt es schon jetzt wochen- oder monatelange Wartezeiten. Das könnte sich noch verschärfen.
Und was fordert das Bündnis »Krankenhaus statt Fabrik«?
Krankenhäuser sollen Menschen gesund machen. Sie dürfen nicht in die Hände von Geschäftemachern geraten. Das Fallpauschalensystem muss abgeschafft werden, und Gewinne dort müssen verboten werden.
Thomas Böhm ist Arzt, engagiert sich im Bündnis »Krankenhaus statt Fabrik« und publizierte im April die Studie »Krankenhausplanung in Deutschland«
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