»Das korrupte und verrottete System blieb bestehen«
Interview: Ina Sembdner
Sie sind der Generalsekretär des philippinischen Linksbündnisses Bagong Alyansang Makabayan – etwa Neue Patriotische Allianz. Was steht auf Ihrer politischen Agenda?
Bayan – so die Abkürzung – ist ein sektorales Bündnis, das 1985 während des Kampfes gegen die von den USA unterstützte Marcos-Diktatur gegründet wurde. Bayan besteht aus Gewerkschaften, Bauernverbänden, Jugendgruppen, Frauen, Fischern, Medizinern, Gesundheitspersonal, Wissenschaftlern, Müllarbeitern und so weiter.
Die Präsidenten, die kamen und gingen, waren allesamt loyale Untertanen der Vereinigten Staaten. Die USA haben die schlimmsten Führer unterstützt, von der Marcos-Diktatur in den 1970er Jahren bis hin zu Rodrigo Duterte, der versucht, ein zweiter Marcos zu werden. Unsere Arbeit besteht also darin, das philippinische Volk zu organisieren und zu mobilisieren, um eine sozialistische Perspektive für die Philippinen zu erreichen.
Wie wird Bayan in der Bevölkerung wahrgenommen?
Sie ist der größte Zusammenschluss der Linken und kann bei Wahlen drei bis vier Millionen Stimmen bekommen. Außerdem haben wir derzeit sechs Abgeordnete im Kongress durch die Wahlpartei, die wir aufgestellt haben.
Am 9. Mai wird der Nachfolger von Duterte gewählt. In den Umfragen liegt Ferdinand Marcos Junior mit mehr als 50 Prozent in Führung – das überrascht …
Es ist mehr als überraschend, es ist schockierend. Wie kann es sein, dass diese Familie, die 1986 aus dem Land gejagt wurde, ein politisches Comeback inszenieren konnte und nun kurz davor steht, in den Präsidentenpalast zurückzukehren? Es wurde möglich, weil nach 1986 das politische System nicht überholt wurde – ja, wir konnten Marcos stürzen, aber der Kampf war unvollendet. Das korrupte und verrottete politische System blieb bestehen, und die USA brachten Marcos nach Hawaii und verhinderten damit, ihn auf den Philippinen vor Gericht zu stellen. In den 90er Jahren durften die Marcos’ schließlich ins Land zurückkehren und konnten den Boden für ein mögliches politisches Comeback bereiten.
Wie genau sah das aus?
In den vergangenen zehn Jahren haben sich die Marcos darauf konzentriert, die Geschichte zu revidieren. Sie nutzten dafür die sozialen Medien und starteten eine Kampagne, um die Verbrechen des Diktators zu beschönigen und die Zeit des Kriegsrechts während der Diktatur als die goldenen Jahre der Philippinen darzustellen. Diese Art der Geschichtsverzerrung und -revision hat in der Bevölkerung Anklang gefunden, insbesondere bei den Armen. Die Marcos versuchen, sich ihren Weg zurück in den Malacañang-Palast zu erschwindeln, aber es gibt auch Gegenwehr.
Marcos Jr. und Dutertes Tochter für das Amt der Vizepräsidentin mögen jetzt die Spitzenkandidaten sein, aber das Momentum liegt bei der politischen Opposition. Präsidentschaftskandidatin Leni Robredo, die auch Vizepräsidentin ist, hat diesen Schwung mitgenommen: Ihre Kundgebungen sind größer, ihre Kampagne ist schlagkräftiger und basiert auf der Initiative der Menschen. Sie wird nicht wie die Marcos von großen Unternehmen finanziert. Dennoch wird es für Marcos Jr. kein Spaziergang.
Sie unterstützen Robredo als Präsidentschaftskandidatin?
Ja, es gibt im Moment eine breite Einheitsfront, einschließlich der Linken, der Progressiven, Teilen der Mittelschicht, der herrschenden Elite, die sich einig sind, Marcos besiegen zu wollen. Sie ist der Einheitsfront von 1983 bis 1986 sehr ähnlich, die den Vater des Kandidaten Marcos stürzte.
Wie sieht es mit der Repression gegen die Linke aus?
Es ist schrecklich. Die legale Linke wird mit einer Intensität angegriffen, die ähnlich den Angriffen auf die Untergrundlinke und die revolutionäre Bewegung ist. Wir sind allen Arten von erfundenen Anklagen ausgesetzt, sie plazieren Waffen und Granaten in deinem Haus, damit sie einen Grund haben, dich zu verhaften, und das geschieht seit drei Jahren. In den schlimmsten Fällen töten sie Menschen einfach in deren Häusern.
Renato Reyes ist Generalsekretär von Bagong Alyansang Makabayan (Bayan), einem Bündnis linker philippinischer Organisationen. Es wurde am 1. Mai 1985 während der Marcos-Diktatur gegründet
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