»Wir wollen verstehen, warum Georgios sterben musste«
Interview: Henning von Stoltzenberg
Am 1. November 2021 starb Georgios Zantiotis im Wuppertaler Polizeigewahrsam. Zuvor war er in der Innenstadt von mehreren Beamten in Gewahrsam genommen worden. Was ist inzwischen über die Todesumstände bekannt?
Georgios wurde ohne Grund in Gewahrsam genommen, obwohl ich bat, ihn freizulassen. Er wurde in eine Zelle verbracht. Man versuchte, ihm Blut abzunehmen, obwohl hierfür gar kein Grund bestand. Nach zwei Autopsien und den toxikologischen Befunden steht aus unserer Sicht fest, dass die mit physischer Gewalt erzwungene Blutentnahme und die gleichzeitige Nachlässigkeit der anwesenden Ärzte Georgios’ Tod verursacht haben. Georgios wäre heute noch bei uns, wenn er nicht grundlos in Gewahrsam genommen worden wäre.
Rund einen Monat später teilte die Staatsanwaltschaft Wuppertal der Öffentlichkeit mit, es sei »ein Drogencocktail« bei der Obduktion gefunden worden. Sie behaupten, es seien noch gar keine Ergebnisse bekannt gewesen. Wie kann das sein?
Die finalen toxikologischen Ergebnisse lagen erst im Februar 2022 vor und wurden uns im März von der Staatsanwaltschaft übermittelt. Die These des Drogencocktails ist widerlegt. Die Stellungnahmen und Aussagen der Staatsanwaltschaft 2021 basierten auf vorläufigen Ergebnissen und waren bestenfalls – wenn wir Absicht ausschließen – voreilige Schlüsse.
Sie haben nach dem Schließen der Akte selbst eine unabhängige Obduktion in Auftrag gegeben, wie einer Stellungnahme einer antirassistischen Gruppe aus Wuppertal zu entnehmen ist. Kann nach dieser Obduktion ein vermeintlicher Drogeneinfluss die Todesursache sein oder dazu beigetragen haben?
Ich will korrigieren: Die zweite Autopsie haben wir sofort nach der Freigabe von Georgios’ Leichnam zwei Wochen nach seinem Tod in Auftrag gegeben und nicht, nachdem die Akte geschlossen worden war. Als wir die Ergebnisse erhielten und diese mit unserem Gerichtsmediziner diskutierten, bestätigte er uns, dass der Tod nicht die Folge von Drogenkonsum war. Wenn Georgios in dieser Nacht zu Hause gewesen wäre, würde er heute noch leben.
Der Fall wurde bereits im Januar zu den Akten gelegt. Das erscheint ziemlich eilig. Müsste es nicht mindestens weitere Untersuchungen geben, die sich mit den festgestellten Einblutungen und Verletzungen befassen?
Wir können nur ausschließen, dass Georgios’ Tod die Folge von Drogen war. Die Staatsanwaltschaft schloss den Fall ab, bevor das toxikologische Gutachten vorlag. Wir wollen nun mit Hilfe von Sachverständigen verstehen, was die Wunden und Hämatome verursacht haben könnte. Wir wollen verstehen, warum Georgios sterben musste. Wir als Familie glauben, dass diese Verletzungen eine wichtige Rolle bei Georgios’ Tod gespielt haben müssten.
Was werden Ihre nächsten Schritte sein, um die Todesumstände von Georgios Zantiotis aufklären zu können? Was fordern Sie von den Verantwortlichen?
Wir wollen, dass die Akte wieder eröffnet und Ermittlungen in allen Richtungen aufgenommen werden. Wir wollen wissen, was die Blutabnahme rechtfertigte. Warum man gewaltsam versucht hat, ihm Blut abzunehmen, und dann von natürlichem Tod spricht. Es sind noch weitere Fragen, die durch Ermittlungen aufgedeckt werden müssten. Unsere nächsten Schritte dienen dazu, die Wahrheit herauszufinden. Wir sind sicher, dass die Wahrheit darüber, was in der Dunkelheit des ersten Novembermorgens 2021 in der Zelle geschah, vor uns verborgen wird. Mit unserem Drängen nach Wahrheit fordern wir auch Konsequenzen. Wir wollen nicht, dass weitere junge Menschen ihr Leben im Polizeigewahrsam lassen müssen. Allein nach Georgios’ Tod sind uns zwei weitere Fälle in NRW, in Köln und Düsseldorf, bekannt geworden. Vor Georgios gab es ebenso Tode im Polizeigewahrsam.
Maria Zantiotis ist die Schwester des im Polizeigewahrsam verstorbenen Georgios Zantiotis
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