»Erstmals friedliche Wiedervereinigung realistisch«
Von Dieter Reinisch
Die Irische Republikanische Sozialistische Partei, IRSP, wurde 1974 gegründet und war eine einflussreiche Kraft während des Nordirlandkonflikts. Wieso haben Sie sich entschieden, erstmals für das nordirische Parlament zu kandidieren?
Wir hatten in den letzten Jahren ein enormes Wachstum an Mitgliedern. Doch es ist nicht nur die Anzahl der Mitglieder, sondern auch deren Qualität, die uns in eine Situation gebracht haben, dass wir kandidieren können. Wir sind überzeugt, dass wir in den nächsten zehn Jahren eine Wiedervereinigung Irlands erleben werden. Es ist wahrscheinlich, dass das Parlament, das dieses Jahr gewählt wird, auch das letzte seiner Art sein wird. Diejenigen, die darin vertreten sein werden, haben also besonderen Einfluss auf die Debatten darüber, wie Irland nach der Wiedervereinigung aussehen wird. Diese Chance wollen wir nutzen und die Zukunft Irlands mitgestalten.
Der zweite wichtige Punkt ist die Wohnsituation. Die muss verbessert werden, das ist ein zentraler Aspekt unseres Wahlprogramms. Wohnungsnot, Wiedervereinigung und Dinge, die die einfachen Leute betreffen – darum dreht sich unsere Wahlkampagne. Wir wollen mit unserer Kandidatur die einfachen Leute stärken.
Wie kann die Wohnungsnot in Nordirland gelöst werden?
Wir haben die Kampagne »Senkt die Mieten« ins Leben gerufen. Dadurch wollen wir Druck auf die Vermieter ausüben. Menschen zahlen 700 oder 800 Pfund Sterling pro Monat Miete für kleine Häuser – das ist sehr viel für Belfast. Schuld sind die Vermieter, weil sie öffentlichen Wohnraum übernehmen und dann teuer vermieten.
Das nächste große Problem, das auf uns zukommt, ist die Privatisierung des Wohnbauamtes. Das müssen wir mit aller Kraft verhindern. Wir möchten unsere Position im Parlament dazu nutzen, eine gesamtirische Wohnraumvereinigung zu gründen. Die Wohnungsnot kann nicht im Norden allein gelöst werden. Die Wohnungssituation betrifft vor allem die Arbeiterklasse. Dadurch können dann auch die protestantischen Loyalisten von einem vereinten Irland überzeugt werden, denn die Loyalisten sind Arbeiter und die Wohnungssituation betrifft sie direkt.
Auch Sinn Féin tritt für die Wiedervereinigung ein und dürfte bei den Wahlen erstmals stärkste Partei werden. Sie treten in einem Wahlkreis an, in dem es Abgeordnete von Sinn Féin und der trotzkistischen »People Before Profit« gibt. Manche werfen Ihnen daher vor, die republikanischen und linken Kräfte zu spalten.
Ich antworte darauf mit den Worten von (dem irischen Sozialisten, jW) James Connolly: »Arbeiter können nicht warten.« Ja, Sinn Féin sind wie wir auch Republikaner und wollen, ebenso wie wir, ein Referendum über die Wiedervereinigung. Hier enden aber schon die Gemeinsamkeiten. Sinn Féin bekommt sehr viel Geld aus den USA. Wieso? Weil es auch ein kapitalistisches Interesse an der Wiedervereinigung gibt. Wir wollen dagegen eine Arbeiterrepublik etablieren.
Der Unterschied zu »People Before Profit« ist der, dass sie glauben, Stormont (das nordirische Parlament, jW) könne dafür genutzt werden, den Menschen zu helfen. Wir glauben das nicht. Wir wollen Stormont gegen sich selbst verwenden und von innen heraus zerschlagen.
Welche langfristige Strategie verfolgt IRSP mit der Kandidatur?
Wir sehen die Kandidatur als »Guerillapolitik«. Wir wollen diese Taktik in allen politischen Feldern anwenden und auch bei den Lokalwahlen antreten. Die Irische Nationale Befreiungsarmee (INLA, die IRSP gilt als politischer Arm der Organisation, jW) hat 1998 einen Waffenstillstand erklärt und sich 2009 entwaffnet. Ich unterstütze diesen Schritt uneingeschränkt. Denn erstmals in der Geschichte gibt es heute eine realistische Möglichkeit für eine friedliche Wiedervereinigung Irlands und dafür müssen wir arbeiten.
Dan Murphy (27) ist der Kandidat der IRSP im Wahlkreis Belfast West und Mitglied des Parteivorstands
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