Die Linke mischt die Karten neu
Von Nick Brauns
Die Partei Die Linke tritt nach dem Rücktritt ihrer Kovorsitzenden Susanne Hennig-Wellsow die Flucht nach vorne an. Nicht nur die Vorsitzenden, sondern gleich der gesamte Parteivorstand soll auf einem Parteitag Ende Juni vorzeitig neu gewählt werden. Das hat der Vorstand am Sonntag auf einer Sitzung in Berlin beschlossen. Die Linke, die als einzige Partei das 100-Milliarden-Euro-Aufrüstungspaket der Ampel ablehne, werde mehr denn je gebraucht, erklärte die verbliebene Vorsitzende Janine Wissler im Anschluss an den mit großer Mehrheit bei zwei Gegenstimmen verabschiedeten Beschluss. Der Parteitag vom 24. bis 26. Juni in Erfurt solle ein entscheidender Schritt auf dem Weg sein, wieder mehr Menschen davon zu überzeugen.
»Der Parteivorstand braucht ein neues Mandat des Parteitages, wir müssen inhaltliche Fragen klären und nehmen den Umbau der Parteistruktur in Angriff«, so Wissler. Ziel sei es, klare Entscheidungsstrukturen und eine bessere Zusammenarbeit von Gremien, Landesverbänden und Fraktionen auf den Weg zu bringen. Der sozial-ökologische Umbau und die Außen- und Friedenspolitik angesichts des völkerrechtswidrigen Angriffskriegs Russlands gegen die Ukraine sind Gegenstand von Leitanträgen, die im Parteivorstand mit breiter Mehrheit beschlossen wurden, teilte Wissler mit.
Das vor 14 Monaten gewählte Spitzenduo Hennig-Wellsow/Wissler stand für das im Vorstand dominante Bündnis der vor allem auf die ostdeutschen Landtagsfraktionen gestützten »Reformer« mit der sogenannten Bewegungslinken. Die Thüringerin Hennig-Wellsow hatte am Mittwoch ihren sofortigen Rücktritt erklärt und ihn mit unerfüllten Erwartungen bei der Erneuerung der Partei, persönlichen Motiven, aber auch mit dem Umgang mit Sexismus in den eigenen Reihen begründet. Es geht insbesondere um mutmaßliche Fälle sexualisierter Gewalt in der hessischen Linkspartei, aus der Wissler kommt. Diese wies am Sonnabend den Vorwurf der Vertuschung zurück und versprach umfassende Aufklärung. Auf dem Parteitag soll in einem gesonderten Themenblock über Sexismus debattiert werden.
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Leserbrief von Alfred Müller aus Hildesheim (25. April 2022 um 16:13 Uhr)Mit klaren Entscheidungsstrukturen und einer besseren Zusammenarbeit ist es nicht getan. Die Linkspartei ist zu einer prokapitalistischen Partei abgerutscht, deren Ziel allein darin besteht, die Wunden des Kapitalismus zu heilen. In Worten von Engels und Marx ist die Linkspartei eine bürgerlich sozialistische Partei geworden, die ihre systemüberwindenden Ziele aufgegeben hat und mit blinden Reformversprechungen den Kapitalismus bändigen will. Wer die Linkspartei nach vorne bringen will, muss sich klar für eine Systemüberwindung entscheiden und das heißt: die Vorteile der alternativen sozialistischen Gesellschaft aufzeigen und auf direktdemokratischem Weg die Macht der Bevölkerungsmehrheit, also der Lohnabhängigen, erkämpfen. Leider ist für die Linkspartei die Direktdemokratie – die Rätedemokratie – in der Praxis ein Fremdwort und nur ein Aushängeschild für Feierlichkeiten geworden. Sie hängt am Parlamentarismus und verkauft diesen als wahren demokratischen Weg. Lokal verkriecht sie sich in ihren vier Wänden und ist kaum von der Bevölkerung wahrnehmbar. Von einer Interessensvertreterin der Lohnabhängigen kann keine Rede sein. Vielleicht gelingt es dem kommenden Parteitag wieder ein Programm, als praktischen Leitfaden, vorzugeben. Wenn nicht, bleibt es beim prokapitalistischen Kartenmischen und die Linkspartei versinkt in der Bedeutungslosigkeit.
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Leserbrief von Ronald Prang aus Berlin (25. April 2022 um 00:46 Uhr)Man gestatte mir die Frage, welche Karten? Für mich stellt sich eine andere Frage, wo für steht die Partei Die Linke? Was ist das Ziel dieser Partei? Welche Wähler will sie wie erreichen? Will man weiter, als Juniorpartner der SPD, Mehrheitsbeschaffer sein? Man hat im Wahlkampf 2021 ein von allen Seiten gelobtes Steuerkonzept vorgelegt, was ist daraus geworden? Welche Pläne hat die Partei, die Spaltung der deutschen Gesellschaft zu überwinden? Die Linke erhebt, schon durch ihren Namen, den Anspruch, das gesamte Spektrum der linken Szene abzubilden. Wie soll das umgesetzt werden, ohne Dogmatismus oder den schon traditionellen Grabenkämpfen? Dieser unerfüllbare Anspruch führte dann zu diesem »Irrlichtern«. Jetzt treibt ein »Sexismus-Vorwurf« die gesamte Partei in den Abgrund, ich bin fassungslos. In der nächsten Wahl stellt sich doch jeder Wähler wieder die Frage, was bekomme ich für mein Kreuz bei Die Linke? Jeder Wähler sucht den Interessenvertreter seiner eigenen Interessen, wen kriegt er für sein Kreuz? Ramelow oder Wagenknecht? Und wofür stehen die eigentlich, außer ihrer eigenen Karriere? So traurig es klingt, so traurig ist es auch. Ich liebe Auseinandersetzungen auf hohem geistigen Niveau, der Wähler leider nicht. Was weiß diese Partei über ihr Wählerpotenzial? Was weiß Die Linke über ihr Erscheinungsbild innerhalb ihrer – wenn sie eine hat – Zielgruppe? Man kann vom Wähler nicht erwarten, dass er ein abgeschlossenes Studium hat. Durch das oft elitäre Auftreten der Repräsentanten beeindruckt man nur Anhänger, verschreckt aber die Zielgruppe, die sie deshalb als Teil des politischen Systems betrachten. Der Spagat zwischen unvereinbaren Interessen führt zur «Bauchlandung». Was die Partei Die Linke z.Z. betreibt, nenne ich Suizid aus Angst vor dem Tod.
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