Panzerdeal über Bande
Von Kristian Stemmler
Die Auflistung dessen, was die Bundesrepublik seit Beginn des Krieges in der Ukraine vor acht Wochen an das Land geliefert hat, liest sich wie die Bestandsliste eines ansehnlichen Arsenals: unter anderem 2.500 Luftabwehrraketen, 900 Panzerfäuste, 100 Maschinengewehre, 200.000 Handgranaten, 2.000 Minen, mehr als 16 Millionen Schuss Munition, wie die Nachrichtenagentur dpa am Donnerstag berichtete. Doch der Ukraine reicht das nicht, sie fordert beharrlich schwere Waffen von Berlin, vorneweg Panzer und Artilleriegeschütze. Seit Wochen macht Kiew Druck in diese Richtung, vor allem über den Botschafter in Berlin, Andrij Melnyk, und wird von bürgerlichen Medien sowie Politikern fast aller Parteien dabei nach Kräften unterstützt. Über Ostern ist es offenbar gelungen, ein Bündel zu schnüren, das beide Seiten zufriedenstellen könnte.
Das Zauberwort heißt »Ringtausch«. Am Karfreitag hatte Kanzler Olaf Scholz (SPD) – wohl auch aufgrund des beständigen Drucks aus Medien, Politik und der Regierungskoalition – mehr als eine Milliarde für Waffenkäufe für die Ukraine in Aussicht gestellt. Am Dienstag erklärte Scholz dann, für Ersatz sorgen zu wollen, wenn östliche NATO-Staaten ihre schweren Waffen aus Sowjetproduktion an die Ukraine weitergeben würden. Diese älteren Panzer (T-72) und Schützenpanzer (BMP) sind etwa in Tschechien und Slowenien noch in Nutzung. Von der ukrainischen Armee könnten sie ohne vorherige Ausbildung sofort eingesetzt werden.
Nach Informationen der dpa soll Slowenien eine größere Stückzahl Kampfpanzer T-72 an die Ukraine abgeben und aus Deutschland dafür Schützenpanzer »Marder« sowie Transportpanzer »Fuchs« erhalten. Aus Regierungskreisen heiße es, Slowenien habe als Kompensation außerdem moderneres Gerät aus Deutschland angefordert, darunter den Kampfpanzer »Leopard 2«, den Radpanzer »Boxer« sowie den Schützenpanzer »Puma«, der in der Bundeswehr als Nachfolger des seit 50 Jahren genutzten »Marder« eingeführt wird. Die Aktion soll nach Angaben von Bundesverteidigungsministerin Christine Lambrecht in den nächsten Tagen starten. «Alle Militärexperten sind sich sicher, dass die nächsten zwei Wochen entscheidende Wochen sind im Kampf der Ukraine gegen Russland», sagte die SPD-Politikerin auf n-tv. «Und diesen Kampf müssen wir unterstützen, damit da bestanden werden kann.»
Nach Einschätzung von Martin Kirsch von der Informationsstelle Militarisierung (IMI) in Tübingen geht Deutschland mit diesem Deal »einen weiteren gefährlichen Schritt, sich zwar nicht formaljuristisch, aber faktisch zur Kriegspartei zu machen«. Der Deal sei vermutlich nur ein Zwischenschritt, sagte der Experte am Donnerstag gegenüber junge Welt. Mehrere südosteuropäische NATO-Staaten hätten starkes Interesse bekundet, den Schützenpanzer »Lynx« von Rheinmetall zu kaufen. Für die Rüstungsindustrie seien das willkommene neue Profite. Die Produktion dieser Panzer dauere aber einige Jahre. Die Zwischenphase werde mit den »Marder«- und »Fuchs«-Panzern überbrückt. Zudem könnte als Ersatz für die an die Ukraine gelieferten T-72 auch der Kauf von neuen »Leopard 2«-Kampfpanzern in Frage kommen.
Mit dem »Verschiebedeal« versuche die Bundesregierung »alles unter einen Hut zu bringen«, sagte Kirch. Kurzfristig bekomme die Ukraine schwere Waffen, die sofort in den aktuellen Kämpfen einsetzbar seien. »In wenigen Wochen wird Slowenien mit Waffensystemen aus deutschen Beständen versorgt und von der Bundeswehr nach NATO-Standard ausgebildet. Damit wird die slowenische Armee modernisiert und der deutsche Einfluss gestärkt«, analysierte Kirsch.
Die FDP kündigte unterdessen an, auf ihrem bevorstehenden Bundesparteitag am Wochenende ein Bekenntnis zur Unterstützung der Ukraine mit schweren Waffen ablegen zu wollen. Auf Antrag des Parteivorstands soll der Parteitag die Forderung nach einer »deutlichen Intensivierung und Beschleunigung der Lieferung hochwirksamer Waffen an die ukrainische Armee« beschließen, wie aus einem am Donnerstag vorgestellten Entwurf hervorgeht. Damit wollen die Liberalen ein Zeichen gegen die als zu zögerlich empfundene Haltung des Koalitionspartners SPD setzen.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Gabriel T. aus Berlin (22. April 2022 um 09:55 Uhr)Was bei dieser Diskussion jedoch klar wird ist, dass kein NATO-Mitglied den Ukrainern soweit traut, dass es Ihnen wirklich aktuelle Waffen liefern würde.
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