Gestörtes Verhältnis
Von Kristian Stemmler
Im Bremer Landesverband der Partei Die Linke sorgt der Streit um eine Rede des Linke-Bundestagsabgeordneten Sören Pellmann für Unruhe. Am Karsamstag war der Leipziger Hauptredner der Abschlusskundgebung zum diesjährigen Bremer Ostermarsch. Auf dem Marktplatz der Hansestadt warnte er eindringlich vor der Ausweitung von Waffenlieferungen an die Ukraine. Die BRD könne »selbst zur Kriegspartei« werden. »Die Gefahr eines Flächenbrands in Europa mit nuklearem Ausgang droht so sehr wie seit Jahrzehnten nicht«, sagte der Abgeordnete. Doch bei der Führung der Bremer Linken, die in dem Bundesland mitregiert, sah man es offenbar anders – das Redemanuskript von Pellmann war nur kurz auf der Homepage des Landesverbandes zu finden und wurde dann sang- und klanglos wieder entfernt.
In zwei internen E-Mails, die jW vorliegen, begründet der Bremer Kolandessprecher Christoph Spehr den Schritt damit, dass die Veröffentlichung der Rede auf der Homepage »keinen Informations- und Servicecharakter« habe, sondern »ein Statement« sei. »Genau dieses Statement können wir nicht geben«, schreibt Spehr, der in der Bremer Linken als Strippenzieher gilt und mithalf, 2019 die »rot-rot-grüne« Koalition einzufädeln. Zum Ukraine-Krieg gebe es »sehr unterschiedliche Haltungen in der Partei und in wichtigen Zielgruppen«. Offenbar mit Blick auf Pellmanns Rede erklärte Spehr, es müsse vermieden werden, »hier derart polarisierend aufzutreten«.
Der Kolandessprecher geht Pellmann in den E-Mails scharf an: »Dass ich Sörens Position nicht teile, ist ja bekannt. So was ist normal. Was Sörens Rede aber für die Homepage disqualifiziert, ist, dass er gezielt ›anheizt‹ und diejenigen, die anderer Meinung sind, schlicht ausgrenzt, indem er ihnen jeden Friedenswillen abspricht und Militarismus unterstellt.« Er könne »sehr schwer verstehen, wie man die Argumentation aushält, Waffenlieferungen würden den Krieg verlängern – was ja umgekehrt heißt, dass man die Ukraine zur Kapitulation aufruft und eine russische Besetzung vorschlägt.« Spehr kritisiert Pellmanns Rede als eine »Art von Starksprech, die wir uns in einer Situation, wo auch wir als Partei hin- und hergerissen sind und bei vielen Menschen die Nerven blank liegen, nicht leisten können«.
Pellmann wollte sich auf jW-Anfrage zu der Kritik an seiner Rede und der Löschung des Manuskripts von der Homepage des Bremer Landesverbandes nicht äußern. »Aktuell schaue ich nach vorn und nicht zurück«, erklärte er. »Die Rede ist gehalten, und ich hatte sowohl bei der Demonstration als auch durch einige nachfolgende E-Mails den Eindruck, dass sie auf Zustimmung gestoßen ist.« Momentan sei er in Paderborn und unterstütze die dortigen Parteimitglieder im Wahlkampf. In Nordrhein-Westfalen stehe im Mai »eine für uns immens wichtige Wahl an«. Diverse Anfragen von jW an Führungspersonen der Bremer Linkspartei blieben unbeantwortet.
Scharfe Kritik am Linke-Landesverband kam von Ekkehard Lentz, Sprecher des »Bremer Friedensforums«, das den Ostermarsch organisiert hatte. Die Entfernung der Rede von der Homepage sei »ein Affront gegen den Abgeordneten, gegen die Friedensbewegung und insbesondere gegen das Bremer Friedensforum«. Das »Forum« habe den Mann eingeladen, »dem die Linke ihren Fraktionsstatus im deutschen Bundestag verdankt«. Tatsächlich konnte Die Linke nur dank Pellmanns Direktmandat in Leipzig ins Parlament zurückkehren.
Das Verhältnis zwischen führenden Personen der Linkspartei und dem Friedensforum sei leider seit längerem gestört. »Wir stehen der zunehmenden Anpassung an die anderen Parteien und den Mainstream, dem Schleifen friedenspolitischer Positionen, im Wege«, so Lentz. Der Landesverband Bremen wirke auf ihn »allen offiziellen Erklärungen zum Trotz zerrüttet« und werde von einem »paternalistischen geschäftsführenden Landesvorstand dominiert«. Beim Thema Waffenlieferung laviere Spehr, wie etwa im Infobrief des Landesverbandes vom Mittwoch deutlich werde. In dem Newsletter wird mit suggestiven Fragen die Forderung nach Waffenlieferungen nahegebracht. Da heißt es etwa: »Lehnen wir Waffenlieferungen ab, damit der Krieg schneller zu Ende geht – auch um den Preis, dass damit die Seite des Angreifers belohnt wird?«
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Leserbrief von Niki Müller (20. April 2022 um 22:42 Uhr)So wie das absteigende US-Imperium mit wildwütigen Reflexen gegen den Bedeutungsverlust kämpft, verhalten sich zusehends auch die Dramaturgen der Partei Die Linke. Und nun bereits in holder Eintracht mit den Bellizisten der giftgrünen Partei und all den anderen, die längst nicht mehr nur Verdächtige sind. »Ja zum Krieg – her mit den Waffen!«, ist ihr neuer Beifall- und Stimmen erheischender Schlachtruf beim Überlaufen in das atlantische Wertesystem. Weh tut das schon, – aber verblüfft bin ich schon längst nicht mehr.
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