»Wir warten vergeblich auf Außenministerin Baerbock«
Interview: Gitta Düperthal
Der Verein »Initiative Frieden und Hoffnung in Kurdistan« hat eine Kampagne gestartet, um einen Stadtwald in Qamislo in dem autonomen Verwaltungsgebiet Rojava aufzuforsten. Gibt es in der nordostsyrischen Region aktuell nicht andere Sorgen angesichts des dort von der Türkei geführten Krieges?
Im vom türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan geführten völkerrechtswidrigen Krieg gegen Rojava werden Menschen durch Bombardierungen getötet und die Natur zerstört. Die Menschen dort machen sich für ein sozialökologisches Gesellschaftssystem stark und setzen sich für Frieden ein, den die Türkei und mit ihr verbündete Dschihadisten ständig erneut gefährden. Unser Ziel ist es nun, dort mit 3.000 Bäumen aufzuforsten. Dabei sind wir auf Spenden angewiesen.
Rojava verfolgt das gesellschaftliche Konzept des demokratischen Föderalismus und der Selbstverwaltung. Kleinste Gemeinschaften sollen in die Lage versetzt werden, ihr Leben auf allen Ebenen selbst zu organisieren. Ziel ist es, so Demokratisierung, Gleichberechtigung, sozial gerechte Ökonomie und Ökologie zu erreichen. Dass die Menschen dort mit der Natur in Frieden leben, ist auch ein Erfolg der Bildungsoffensive.
Wie ist die ökologische Lage in Rojava?
Als 2012 die Selbstverwaltung entstand, lag alles brach. Es gibt dort kaum Bäume. Menschen versuchen, trotz kriegerischer Angriffe zu überleben, für Klimaschutzmaßnahmen fehlen ihnen aber die Mittel. Wir waren im Oktober 2021 dort, um ökologische Projekte voranzubringen. Daran beteiligen sich Studierende der Universität Kobani sowie Schülerinnen und Schüler und Lehrkräfte verschiedener Grundschulen. Sie lernen, junge Bäume zu setzen und zu erhalten sowie dadurch das Gemeinwohl zu fördern. Diese Pflanzen binden Kohlendioxid, produzieren Sauerstoff, verbessern die Bodeneigenschaften, speichern Wasser und sind Lebensraum für Tier- sowie Insektenarten. Nach erfolgreichem Start in Qamislo sollen weitere Projekte in den Städten Reqa, Hasaka und Kobani folgen.
Wie stellt sich die kriegerische Bedrohung dar?
Immer wieder greift die Türkei verschiedene Teile Rojavas an. Kampfjets starten von der türkischen Luftwaffenbasis in Amed (türkischer Name Diyarbakir, jW), Drohnen fliegen über die Grenze nach Syrien. Wir machen auf die Verantwortung der deutschen Regierung aufmerksam, die die Türkei politisch, wirtschaftlich und militärisch mit Waffenlieferungen unterstützt. Vergeblich warten wir, dass Bundesaußenministerin Annalena Baerbock von den Grünen das ändert. Offensichtlich misst die Bundesregierung mit zweierlei Maß, wenn man sieht, wie sie sich im Fall des Angriffs auf die Ukraine einsetzt.
Sind Sie der Meinung, dass sich die internationale Aufmerksamkeit derzeit einzig auf die angegriffene Ukraine konzentriert?
Kurdinnen und Kurden finden es wichtig, dass die Ukraine gegen den Angriff unterstützt wird. Wir bemerken aber, wie unterschiedlich die Reaktion ist. Als Erdogan im Januar 2018 seinen Krieg gegen Afrin begann, die türkische Armee und deren dschihadistische Verbündete dort Menschenrechtsverletzungen begingen, schaute Europa zu. Wo blieben da Hilfsbereitschaft und humanitäre Unterstützung? Hätte man damals Haltung gezeigt, hätte man vielleicht weitere Kriege verhindern können. Kriege müssen geächtet werden, egal wo und wie sie stattfinden. Statt dessen kann Erdogan nun den Ukraine-Krieg nutzen, um sich als angeblicher Friedensvermittler zu inszenieren.
Emine Gözen ist Vorsitzende des Vereins »Initiative Frieden und Hoffnung in Kurdistan« in Bielefeld
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