»Ohne Druck werden diese Skandale nicht aufgeklärt«
Interview: Henning von Stoltzenberg
In Brandenburg wird derzeit gegen einen Polizisten aus dem Landkreis Dahme-Spreewald ermittelt. Um was genau geht es dabei?
Dem Beamten wird vorgeworfen, auf einem Foto in einer SS-Uniform posiert zu haben. Zudem soll er dabei eine Waffe getragen haben, für die er keine Erlaubnis hatte. Bei einer anschließenden Hausdurchsuchung sollen bei dem Polizisten dann Uniformteile mit Hakenkreuzzeichen und dem Totenkopfsymbol gefunden worden sein, das die Waffen-SS verwendete.
Jüngst äußerten Sie gegenüber dieser Zeitung den Vorwurf, in Brandenburg komme die Aufklärung rechter Straftaten nur schleppend voran. Angesichts der aktuellen Ermittlungen könnte man zu dem Schluss kommen, dass die Behörden doch gegen mutmaßliche Neonazis in den eigenen Reihen vorgehen.
Es ist zunächst zu begrüßen, dass Ermittlungsverfahren und dienstrechtliche Schritte gegen den Beamten eingeleitet wurden. Dennoch stellen sich Fragen, inwieweit Kolleginnen und Kollegen schon zuvor von seiner Gesinnung wussten und das nicht meldeten, oder ob gar noch andere Personen auf den Fotos zu sehen sind und das ebenfalls strafrechtlich relevant ist. Wir fordern, dass die Staatsanwaltschaft Cottbus umfassend ermittelt und dabei auch das Umfeld des Beamten durchleuchtet. Die Erfahrung zeigt, dass ohne zivilgesellschaftlichen Druck Skandale dieser Art von den Ermittlungsbehörden eben nicht umfassend aufgeklärt werden.
Der betreffende Beamte äußerte gegenüber der Presse, sich keiner Schuld bewusst zu sein. Angesichts der Vorwürfe wirkt das so, als sei sich der Mann seiner Sache sicher.
Mitglieder der Waffen-SS waren maßgeblich an den von den Nationalsozialisten verübten Kriegsverbrechen beteiligt. Aus diesem Grund ist es erschreckend, in welcher Art sich hier ein Polizist gegenüber der Presse äußert. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Landesregierung der Meinung ist, dass Beamte mit dieser Gesinnung für den Polizeidienst geeignet sind.
Im Zuge der Ermittlungen haben Sie auf die registrierten rechten Angriffe in der Region verwiesen. Vermuten Sie da einen Zusammenhang?
Wir haben als Beratungsstelle für Betroffene rechter Gewalt im vergangenen Jahr 16 rechte Angriffe im Landkreis Dahme-Spreewald registrieren müssen. Die meisten davon waren Körperverletzungsdelikte oder massive Bedrohungen. In der Region hat sich in den vergangenen Jahren eine gewaltbereite Neonaziszene entwickelt, deren Mitglieder kampfsportaffin sind und vor erheblicher Gewalt nicht zurückschrecken. Zudem hat sich hier eine rechte Bewegung formiert, die die Coronamaßnahmen ablehnt und das – verbunden mit antisemitischen und verschwörungserzählerischen Inhalten – regelmäßig in Form von Aufmärschen auf die Straße trägt.
Welche Personengruppen sind von rechter Gewalt betroffen?
Betroffen sind generell Andersdenkende, vor allem aber politische Gegnerinnen und Gegner der Neonazis. Zudem sind es auch Menschen, die aus rassistischen Gründen ins Visier geraten. In der Tendenz nimmt die Gewalt derzeit zu, nachdem es in den 2010er Jahren etwas ruhiger geworden war. Anfang Dezember 2021 tötete ein Familienvater aus Senzig bei Königs Wusterhausen seine Frau und drei kleine Kinder mit einer Schusswaffe. Später wurde ein Abschiedsbrief gefunden, in dem antisemitische und rassistische Inhalte verbreitet wurden. Wir rechnen den Täter der »Querdenker«-Szene zu.
Was muss Ihrer Meinung passieren, damit sich die Situation nachhaltig verändert?
Alle politischen Kräfte, die sich den Rechten im Landkreis in den Weg stellen, müssen gestärkt werden. Bislang sind einzelne, die sich gegen Neonaziumtriebe wehren, mit Gewalt und Bedrohungen konfrontiert. Hier bedarf es Solidarität, im Zweifel auch von außerhalb des Landkreises. Zudem müssen sich von rechter Gewalt Betroffene, die Delikte zur Anzeige bringen wollen, sicher sein können, dass ihr Fall von Polizeibeamten bearbeitet wird, die nicht mit den Tätern sympathisieren.
Martin Vesely arbeitet beim Verein »Opferperspektive – Solidarisch gegen Rassismus, Diskriminierung und rechte Gewalt« und berät in Südbrandenburg von rechter Gewalt Betroffene
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