Irritation im Kriegsbetrieb
Von Arnold Schölzel
The war must go on – der Krieg muss weitergehen. In Warschau hatte Joseph Biden am Sonnabend zwar den Triumph des Westens über Russland verkündet: Dessen Krieg in der Ukraine sei jetzt schon »ein strategischer Fehlschlag«, der Rubel nur noch »rubble«, Schutt, die russische Ökonomie durch die Sanktionen demnächst halbiert. Zurück in Washington half der Oberkommandierende aber dem angeblich errungenen Sieg nach und schlug am Montag für 2023 einen Pentagonetat in Höhe von 773 Milliarden US-Dollar vor – neuer Rekord. Gleichzeitig übergab das US-Kriegsministerium eine neue »Nationale Verteidigungsstrategie« an den Kongress und veröffentlichte daraus, was schon in der vorherigen stand: China »strategischer Konkurrent« Nummer eins, Russland trotz »akuter Drohungen« auf Platz zwei, dahinter folgen »Nordkorea, Iran und gewalttätige extremistische Organisationen«. Zusammengefasst: Hat der militärisch-industrielle Komplex der USA die Herrschaft, ist Politik im Westen die Fortsetzung des von jenem seit längerem geführten dritten Weltkrieges mit noch mehr Finanzmitteln als zuvor. Das gilt nun endlich in uneingeschränkter Solidarität auch hierzulande. Kriegsministerin Christine Lambrecht meldete beim Antrittsbesuch in Washington am Mittwoch Vollzug beim geforderten Geldvernichten für Aufrüstung und erwähnte bescheiden, sie glaube, »Deutschland« sei »inzwischen der zweitgrößte Waffenlieferant« für die Ukraine.
Kleinere Störungen des auf Dauer eingestellten Kriegsbetriebs machen da wenig aus. Das gilt auch für die Verhandlungen zwischen Russland und der Ukraine, erst recht, wenn von dort Ergebnisse kommen. Dennoch verschlug es dem deutschen Medienwesen am Dienstag für ein paar Stunden die Sprache, als in Istanbul mitgeteilt wurde, Kiew habe Schriftliches auf den Tisch gelegt und Moskau werde antworten. Das kam offenbar so unverhofft, dass die Propagandamaschinerie kurz stockte, dann galt die Sprachregelung: Russische Ankündigungen sind immer Täuschungsmanöver. In der Tat kann niemand sagen, was in einem stockenden Angriffskrieg bloße Taktik ist. Sprach- und ratlos zeigten sich aber die westlichen Kommentatoren beim gewichtigsten Faktum im ukrainischen Papier: Verzicht auf NATO-Mitgliedschaft und keine Stationierung westlicher Truppen in der Ukraine gegen Beistandsversprechen der ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrats plus weiteren Ländern, darunter die Bundesrepublik. Vieles bleibt dabei unklar, beredt ist das westliche Schweigen allemal. Der US-Außenminister ließ spitz wissen, die Ukraine habe »das Recht, festzustellen, ob es echte Fortschritte« gebe – immerhin, ein »Recht«. Nur London und Berlin erklären sich vage zu Garantien bereit.
Es lässt sich nicht einschätzen, ob eine diplomatische Lösung nähergerückt ist. Klar ist nur: Der Wille, sich von Diplomatie nicht irritieren zu lassen, ist im Westen ungebrochen.
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