»Wir wollen nicht zahlen«
Von Hansgeorg Hermann
Auf ihre »Erinnerungskultur« sind die Deutschen besonders stolz. Staatspräsidenten wie Joachim Gauck oder auch der aktuelle oberste Repräsentant der Republik, Frank-Walter Steinmeier, waren und sind Meister dieser »Kultur«, die Opfer des 1939 vom Zaun gebrochenen deutschen Vernichtungskriegs zwar immer mal wieder kostengünstig »um Verzeihung« zu bitten, jede finanzielle Entschädigung allerdings bis heute abzulehnen. Mit den Griechen, die »das Reich« und seine Wehrmacht am 6. April 1941 überfiel, spricht Berlin nicht über eine mit Geld verbundene »Wiedergutmachung«. Schon im Mai 1995 verriet der damalige Botschafter, Leopold Bill von Bredow, bei einer Feier zum 50. Jahrestag des Kriegsendes dem Athener Historiker Hagen Fleischer: »Wir wollen nicht zahlen.«
Was Bredow, ein Nachfahre des Reichskanzlers Otto von Bismarck, in der griechischen Hauptstadt damals so klar formulierte, gilt bis heute. Kein Geld für die Griechen, keine Entschädigung für das Abbrennen ganzer Dörfer, die Ermordung Tausender Frauen, Männer und Kinder und den Raub lebenswichtiger Nahrung, der im Winter 1941/42 schätzungsweise 400.000 Menschen verhungern ließ. Nicht Griechenland »beharrt« – wie der Spiegel schrieb – auch unter dem rechten Ministerpräsidenten Kyriakos Mitsotakis »weiterhin auf Reparationszahlungen«. Es ist vielmehr die Bundesrepublik, die den »Freunden« in Athen »beharrlich« verweigert, was ihnen nach Ansicht nahezu aller Historiker zusteht.
Eine Kommission des griechischen Parlaments hatte in einem bereits Ende 2014 abgeschlossenen Bericht die Höhe der von den Deutschen zu zahlenden Entschädigung auf 269,5 Milliarden Euro beziffert. Dazu kommt, wie im Text ausgeführt, ein in Höhe von heute auf 10,3 Milliarden Euro geschätzter »Kredit«, den die Wehrmacht der Griechischen Nationalbank aufgezwungen hatte. Chryssoula Kambas, Literaturprofessorin an der Universität Osnabrück und Herausgeberin des jüngsten Buches des Historikers Fleischer – »Krieg und Nachkrieg. Das schwierige deutsch-griechische Jahrhundert« – merkte dazu an: »Das Deutsche Reich hatte diesen Zwangskredit 1942 bis 1944 in monatlichen Raten abgepresst und bemerkenswerterweise begonnen, die Fälligkeitsraten bis zum deutschen Abzug im Oktober 1944 zu bedienen.«
Im »neuen« Deutschland, das sich fortan Bundesrepublik nannte, galt der Rechtsgrundsatz »Pacta sunt servanda« – zu deutsch: Verträge sind einzuhalten –, den in diesem Fall sogar Hitlers uniformierte Besatzer und Mörder beachteten, offenbar nicht mehr. Kambas: »Der Nachfolgestaat ›vergaß‹ die Fortführung der Kreditbedienung bis auf den heutigen Tag. Der Posten besteht – auch jenseits von Reparationsfragen – somit weiterhin als Verpflichtung und trotz des heute von Berlin abgestrittenen Kreditcharakters.«
Als »kostengünstiger Ersatz«, wie Kambas schreibt, wurde von den stolzen Erfindern der »Erinnerungskultur« ein »Deutsch-Griechischer Zukunftsfonds« eingerichtet, begleitet von einem »Jugendwerk«, das allerdings nicht verhinderte, dass im Rahmen deutsch-europäischer Austeritätspolitik die Erwerbslosigkeit bei den jungen Griechen in den vergangenen zehn Jahren bis auf 60 Prozent stieg und nahezu eine halbe Million von ihnen die Heimat verlassen mussten. Dies mache »die Dialogbereitschaft Berlins zum Thema Geschichtsschuld nur wenig glaubhafter«. Ihre Hoffnung setzten die Griechen eine Zeit lang auf Gauck, den Mann, der so schön »um Verzeihung« bitten konnte. Als es ums Geld ging, schloss der sich allerdings, wenn auch nicht ganz so deutlich, dem Standpunkt des ehemaligen Botschafters von Bredow an.
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