Grüne retten CDU
Von Arnold Schölzel
Bewahrung der Welt – einige »humanitäre Kriege« eingeschlossen – war gestern, heute kümmern sich die Grünen um die CDU. Der geht es in Umfragen schlecht, besonders schlimm steht es in Baden-Württemberg. Dort erhielten die Grünen bei den Landtagswahlen am 14. März 32,6 Prozent der Stimmen – historischer Spitzenwert, die CDU kam auf 24,1 Prozent – historischer Tiefstand. 17 Tage lang antwortete Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) öffentlich nicht auf die Koalitionsfrage und führte eine fünfköpfige Gruppe in Sondierungsgespräche mit SPD und FDP einerseits, mit der CDU andererseits. Elf Stunden benötigte sein Gremium am Mittwoch, dann hieß es »einstimmig«: Regierung mit der CDU. Die beiden Landesvorsitzenden Sandra Detzer und Oliver Hildenbrand wollten zuvor den Zuschlag SPD und FDP geben. Kretschmann dürfte das Ergebnis durch einen am selben Tag veröffentlichten gemeinsamen Brief mit dem bayerischen Ministerpräsidenten und CSU-Chef Markus Söder befördert haben – ein Aufruf an alle Amtskollegen, bei der Pandemiebekämpfung einen strikten Kurs zu fahren.
Der Rest war Routine: keine Skandalchronik, nur etwas anrüchige Manöver, kaum ein Protesthauch im Wasserglas, geschweige denn ein Sturm. Am Donnerstag um 17.30 Uhr teilte der formal zuständige Grünen-Landesvorstand mit, dass er sich für die CDU entschieden habe und am 3. April das Papier für Koalitionsgespräche besprochen werden solle. Die Christdemokraten quittierten mit einem Stoßgebet: Das sei ein »guter Tag für Baden-Württemberg«.
Am Morgen des 1. April, als sich der Grünen-Landesvorstand gegen acht Uhr zusammenschaltete, hatten einige noch nicht mitbekommen, was Kretschmann wünschte – dem Vernehmen nach vor allem jüngere Mitglieder. Es gab Gegrummel. Kurz vor elf Uhr wurde die Sitzung unterbrochen. Bei der Fortsetzung am Nachmittag war die Angelegenheit innerhalb einer halben Stunde erledigt: Es gehe darum, Schaden von Kretschmann abzuwenden, hieß es. Die versteckte Rücktrittsdrohung reichte als »Argument«: 13 stimmten mit Ja, vier mit Nein, zwei enthielten sich. Trotz Zweidrittelmehrheit darf die Grüne Jugend aber meckern. Landessprecherin Sarah Heim: »schlechter Aprilscherz«. Bundesverbandssprecherin Anna Peters: »Ein Schlag ins Gesicht für alle, die in den letzten Monaten Wahlkampf für den Wechsel gemacht haben«. Kretschmann wird’s verschmerzen.
Die SPD, die am 14. März auf elf Prozent gekommen war, nicht. Kovorsitzende Saskia Esken kommentierte in Stuttgarter Zeitung und Stuttgarter Nachrichten am Donnerstag etwas lahm, das sei »ein Schritt zurück«. Angriffslustiger war ihr Generalsekretär Lars Klingbeil, der den Zeitungen erläuterte, die Union sei »im Chaos« und die Grünen hätten sich klar »gegen einen Aufbruch« entschieden. Das werde »auch für die Bundestagswahl hängenbleiben«. Und: »Um die Zukunft dieses Landes zu gestalten, braucht man Mehrheiten ohne die Union.« Aus der SPD klingt das besonders überzeugend. Gegenüber jW äußerte der Linke-Bundestagsabgeordnete Tobias Pflüger am Freitag: »Kretschmann war der beste Ministerpräsident, den die CDU je hatte.« Nun werde »einem gefährlichen Innenminister Thomas Strobl (CDU) mit seiner offensichtlichen Linkenphobie vermutlich wieder ins Amt« geholfen. Exparteivorsitzender Bernd Riexinger twitterte: »Wer grün wählt, ärgert sich später schwarz.« Das gelte nicht nur für Baden-Württemberg. Richtig. Die Bundes-CDU wartet noch auf Rettung.
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Debatte
Die Grüne Jugend ... Man weiß nicht, ob man sie bewundern oder bemitleiden soll, wenn man bedenkt, welch emotionale und auch intellektuelle Kraftanstrengungen es benötigt, den Widerspruch zwischen Ideal und Wirklichkeit bei den Grünen irgendwie zu bewältigen.