Wölfe und Schafe wohlauf
Von Knut Mellenthin
Eine russische Redensart, die auf Leo Tolstoi zurückgeht, sagt: »Mögen die Wölfe satt werden und die Schafe heil bleiben!« Dieses Prinzip kennzeichnet die Vereinbarung, die am Sonntag zwischen dem Iran und der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) geschlossen wurde.
Der Generaldirektor der IAEA, Rafael Grossi, war am Wochenende aus aktuellem Anlass nach Teheran gekommen, um über die künftige Gestaltung der Überwachung der iranischen Atomanlagen zu verhandeln. Seine wichtigsten Gesprächspartner waren der Chef der iranischen Atombehörde, Ali Akbar Salehi, und Außenminister Mohammed Dschawad Sarif. Zuvor hatten die Iraner der IAEA am 15. Februar ihre Absicht mitgeteilt, sich ab diesem Dienstag nicht mehr an das freiwillige »Zusatzprotokoll« halten zu wollen, das den internationalen Inspektoren außergewöhnliche Kontrollmöglichkeiten sichert. Die Regierung in Teheran folgte mit dieser Ankündigung den Vorgaben eines Gesetzes, das am 1. Dezember vom Parlament beschlossen worden war.
Über das Verhandlungsergebnis äußerten sich alle zufrieden. Grossi twitterte: »Intensive Beratungen führten zu einem guten Resultat. Eine zeitweilige technische Verständigung wurde erreicht. Die IAEA wird ihre notwendige Kontroll- und Überwachungstätigkeit im Iran fortsetzen.«
Auf der anderen Seite behauptete der Sprecher des Teheraner Außenministeriums, Said Khatibsadeh, die Vereinbarung mit der IAEA liege vollständig im Rahmen des am 1. Dezember verabschiedeten Gesetzes und stelle eine »bemerkenswerte technische und diplomatische Errungenschaft« dar. Parlamentssprecher Mohammed Baqer Qalibaf interpretierte, die Anwendung des Zusatzprotokolls werde am Dienstag eingestellt. Jede Art von Zugang der IAEA-Inspektoren über das sogenannte Safeguards Agreement hinaus sei von diesem Tag an »absolut verboten und illegal«. Gemeint ist damit die verpflichtende Kontrollvereinbarung, die mit der Mitgliedschaft im Atomwaffensperrvertrag untrennbar verbunden ist.
Tatsächlich geht aus dem Wortlaut der gemeinsamen Erklärung von Grossi und Salehi jedoch hervor, dass für einen Zeitraum von zunächst drei Monaten Kontroll- und Überwachungsmöglichkeiten vereinbart wurden, die zwar geringer sind als die im Zusatzprotokoll vorgesehenen, die aber andererseits doch eindeutig über den Rahmen des Safeguards Agreements hinausgehen. Naturgemäß handelt es sich um umfangreiche und komplizierte technische Details. Sie sind in einem Anhang zur gemeinsamen Erklärung festgehalten, auf dessen strenge Vertraulichkeit die iranische Regierung schon vor dem Eintreffen Grossis in Teheran großen Wert gelegt hatte.
Worum es dabei unter anderem gehen könnte, geht aus einer separaten Stellungnahme der iranischen Atombehörde nach Abschluss der Verhandlungen hervor: Man werde die Speicherung relevanter Daten, darunter insbesondere die permanente Liveüberwachung der Atomanlagen durch Monitore, fortsetzen, aber diese der IAEA erst zur Verfügung stellen, wenn alle Sanktionen aufgehoben würden. Sollte das nach drei Monaten noch immer nicht der Fall sein, würden die Daten, einschließlich der Überwachungsvideos, gelöscht.
Grossi hofft offenbar, die jetzt vereinbarte Übergangsregelung nach Ablauf der Dreimonatsfrist verlängern zu können. Die technische Verständigung ermögliche, »dass andere politische Beratungen auf anderen Ebenen stattfinden können«, und stabilisiere die Lage, erklärte der IAEA-Chef nach seiner Rückkehr aus Teheran.
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