»In Notfällen werden wir durch die Stadt gekarrt«
Interview: Markus Bernhardt
Wie erst jetzt bekannt wurde, ist am 4. Januar eine 77jährige Frau in Essen an den Folgen eines Schlaganfalls verstorben, die zuvor von Mitarbeitern der Notaufnahme des Philippusstifts in Essen-Borbeck nach Hause geschickt worden war, da kein Bett mehr frei gewesen sei. Was war da los?
Die Rentnerin war am morgen des 2. Weihnachtstages zu Hause zusammengebrochen und von dem herbeigerufenen Krankenwagen in das Phillipusstift gebracht worden. Sie wurde dort über mehrere Stunden medizinisch versorgt und dann mitten in der Nacht wieder zu ihrem 84jährigen Ehemann zurückgebracht. Begründung: Es sei wegen Corona kein Bett frei. Am nächsten Morgen erlitt sie einen Schlaganfall, wurde erneut in das Krankenhaus gebracht und verstarb in der Folge.
Erst Ende des vergangenen Jahres hat die katholische Contilia-Gruppe das Marienhospital in Altenessen und das St. Vincenz-Krankenhaus in Stoppenberg geschlossen. Sehen Sie einen Zusammenhang mit dem Fall?
Der Tod der 77jährigen, die eigentlich zur Beobachtung die Nacht über im Philippusstift hätte bleiben müssen, ist der traurige Beweis für die von vielen Menschen im Essener Norden gehegte Befürchtung, dass nach der Schließung unserer Krankenhäuser eine ausreichende Krankenhaus- und Notfallversorgung im Essener Norden nicht mehr gewährleistet ist. Niemand mag glauben, dass es sich um einen bedauerlichen Einzelfall handelt. Wahrscheinlicher ist, dass es sich hier um einen der Fälle handelt, die mal an das Licht der Öffentlichkeit dringen.
Ist die medizinische Versorgung der Menschen in Essen dann überhaupt noch gewährleistet?
Wir befinden uns mitten in einer Pandemie! Die Betten und besonders die Intensivbetten stehen nicht mehr zur Verfügung. In Notfällen werden wir durch die ganze Stadt gekarrt. Dieser schreckliche Vorfall hat die Behauptungen von Contilia und Stadt Lügen gestraft, dass die Krankenhaus- und Notfallversorgung im Essener Norden in ausreichendem Maße gewährleistet ist. Diese Stadtbezirke sind nach der Schließung der beiden Krankenhäuser unterversorgt. Und damit ist der Umstand eingetreten, dass die Stadt Essen gefordert ist, wegen der Unterversorgung das Heft selbst in die Hand zu nehmen.
Was genau erwarten Sie dann jetzt von der Landesregierung aus CDU und FDP, der Essener Lokalpolitik und den örtlichen Krankenhausbetreibern?
Das Land NRW ist gesetzlich verpflichtet, die patienten- und bedarfsgerechte wohnortnahe Versorgung der Bevölkerung durch Krankenhäuser sicherzustellen. Die katholische Contilia-Gruppe hat sich als Krankenhausbetreiber im Essener Norden verabschiedet und verweigert auch den Verkauf ihrer Standorte, damit sich kein anderer »Krankenhausplayer« hier ansiedeln kann. Die »Fälle« sollen in den umliegenden Verbundhäusern abgerechnet werden. Hier muss die Stadt ihrer Verantwortung gerecht werden und, wie auch im Krankenhausgesetz NRW vorgesehen, die Krankenhäuser in öffentliche Hand übernehmen. Mit unserem Bürgerbegehren wollen wir erreichen, dass die Stadt dafür die Voraussetzungen schafft. Leider kommt vom CDU-Oberbürgermeister erbitterter Widerstand. Da wird mit allen rechtlichen Finessen versucht, unser Bürgerbegehren zu verhindern.
Sie haben am vorletzten Wochenende gemeinsam mit der Volksinitiative »Gesunde Krankenhäuser in NRW – Für alle!« gegen die Schließungen der Kliniken in Essen protestiert. Hegen Sie die Hoffnung, dass nach dem tragischen Tod der älteren Dame trotzdem noch ein Umdenken bei den politisch Verantwortlichen einsetzt?
Warum sollte ich dieser Illusion verfallen? Interessiert es die politisch Verantwortlichen, dass in den profitorientierten Krankenhäusern jeden Tag Menschen wegen Unterversorgung, Hygienemängeln, blutigen Entlassungen usw. zu Schaden kommen? Interessiert es sie, dass die Arbeitsbedingungen in den Kliniken die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter krank machen? Wir werden nicht umhinkommen, den Protest weiter zu verstärken, die Volksinitiative zum Erfolg zu führen und damit die Krankenhausplanung in NRW umzusteuern. Wir haben letzte Woche Klage gegen den Oberbürgermeister eingereicht, da er unserem Bürgerbegehren unrechtmäßig die Kostenschätzung verweigert. Wir machen also weiter!
Jutta Markowski wohnt im Essener Norden und gründete dort mit Mitstreitern eine Initiative für ein Bürgerbegehren, um zwei Krankenhäuser zu erhalten
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