Mit Hunden und Sondereinheit
Von Johannes Greß, Wien
Es sind dramatische Szenen, die sich in der Nacht zu Donnerstag in der Zinnergasse 29 in Wien abspielen. Es ist drei Uhr früh, in einem Bus sitzen drei Schülerinnen, umstellt von der Sondereinheit WEGA, Dutzenden Polizisten, kläffenden Hunden. Trotz eisiger Kälte und einer eher unüblichen Uhrzeit für eine Demo protestieren rund 160 Menschen gegen die Abschiebung der Schülerinnen im Bus, darunter Parlamentsabgeordnete der SPÖ, der Neos – und der Grünen.
Laut der Wiener Polizei versuchten die Protestierenden mit Mistkübeln und Einkaufswagen die Ausfahrt des Polizeikonvois zu verbarrikadieren. Einige der Teilnehmenden wollten die Abschiebung der drei Schülerinnen und ihrer Familien nach Georgien und Armenien durch eine Sitzblockade verhindern. Um fünf Uhr wurde die Demonstration schließlich von der WEGA geräumt.
Gegen die Abschiebungen hatten bereits zuvor Mitschüler und Lehrkräfte mobilisiert. Am Mittwoch abend trafen sich Vertreterinnen und Vertreter der Wiener Stadtregierung mit den Schülerinnen und appellierten an die österreichische Bundesregierung, die Abschiebung auszusetzen. Das von der rechtskonservativen ÖVP geführte Innenministerium verwies auf eine höchstgerichtliche Entscheidung und betonte die Einhaltung rechtsstaatlicher Prinzipien sowie einer »glaubhaften Rückführpolitik«. Nachdem die Polizei die Sitzblockaden und die Barrikade beseitigt hatte, wurden sowohl die Schülerinnen als auch ihre Familienangehörigen abtransportiert.
Eine der Betroffenen, die zwölfjährige Tina, ist in Österreich geboren und hat bis auf zwei Jahre in Georgien ihr gesamtes Leben in Wien verbracht. Jedoch besitzen weder ihre Mutter noch ihr Vater eine dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung. Sie befinden sich seit 2006 im Land, laut der Nachrichtenagentur APA nach einem negativen Asylbescheid seit vier Jahren »unrechtmäßig«. Wiederholt hatten sie sich behördlichen Vorgaben widersetzt, um einer Abschiebung zu entgehen. Montag abend wurde Tina gemeinsam mit ihren Eltern von der Fremdenpolizei – der österreichischen Ausländerbehörde – in ein sogenanntes Abschiebezentrum gebracht.
Beim grünen Koalitionspartner stieß die Aktion auf wenig Sympathie. Laut Standard habe es den ganzen Mittwoch über Gespräche zwischen Vertretern der Partei und Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) gegeben. An der Entscheidung änderte das jedoch nichts.
Die Grünen Wien sprachen von einer Nacht der »Unmenschlichkeit und Kaltherzigkeit«. Auch die Bundes-Grünen äußerten sich im Anschluss ungewohnt kritisch gegenüber dem Koalitionspartner, wenn auch etwas diplomatischer: »Mich persönlich betrübt das sehr, weil es zeigt, wie weit die Grünen und die ÖVP in diesem Politikbereich auseinanderliegen«, sagte Georg Bürstmayr, Asyl- und Sicherheitssprecher der Partei, am Rande des Protests gegenüber dem Nachrichtensender Puls 24. Das Vorgehen der Exekutive bezeichnete er als »unverhältnismäßig«, der Einsatz habe ihn an einen »Antiterroreinsatz« erinnert.
Eine liberalere Migrations- und Flüchtlingspolitik zählte in Oppositionstagen stets zu den Kernanliegen der Grünen. Dass ihr Koalitionspartner, allen voran Innenminister Nehammer, in diesen Fragen einen besonders restriktiven Kurs fährt, mag einigen Grünen zwar sauer aufstoßen – das änderte aber in der Vergangenheit nichts daran, dass sie sich den Entscheidungen der Konservativen stets unterordneten.
In einer ansonsten von »Message Control«, also der Steuerung der Informationspolitik mit Hilfe hochbezahlter Marketingprofis, geprägten Regierungskoalition sorgte der migrationspolitische Kurs der ÖVP bereits mehrmals öffentlich für Konfliktstoff. Zuletzt, nachdem sich die »Volkspartei« geweigert hatte, nach dem verheerenden Brand im Flüchtlingslager Moria auf der griechischen Insel Lesbos auch nur eine einzige Person in Österreich aufzunehmen. Da offenbar vorhersehbar war, dass es bei diesem Thema zu Meinungsverschiedenheiten kommen würde, sieht der Koalitionsvertrag zwischen ÖVP und Grünen eine in dieser Form bisher unbekannte Sonderklausel vor: Die ÖVP kann in Fragen der Flüchtlings- und Asylpolitik gegebenenfalls mit einer anderen Partei nach Mehrheiten suchen, sollten die Grünen ihren Kurs nicht mittragen. Wobei »andere Partei« in diesem Fall die rassistische FPÖ meint.
Wer fürchtet sich eigentlich vor wem?
Polizei vor Kiezkneipen- oder Waldschützern, Instagram vor linken Bloggern, Geheimdienste vor Antifaschisten? Oder eher andersherum? Die Tageszeitung junge Welt entlarvt jeden Tag die herrschenden Verhältnisse, benennt Profiteure und Unterlegene, macht Ursachen und Zusammenhänge verständlich.
Unverbindlich und kostenlos lässt sich die junge Welt drei Wochen lang (im europäischen Ausland zwei Wochen) probelesen. Abbestellen nicht nötig, das Probeabo endet automatisch.
Dieser Artikel gehört zu folgenden Dossiers:
Ähnliche:
- Matthias Schrader/AP/dpa08.01.2021
Land der Skiliftbetreiber
- Leonhard Foege / Reuters16.09.2020
Rechts mit grünem Anstrich
- Roland Schlager/APA/dpa17.02.2020
Kurz will Kontrolle
Regio:
Mehr aus: Ausland
-
Drohungen statt Diplomatie
vom 29.01.2021 -
Inszenierte Störung
vom 29.01.2021 -
Knallharte Machtpolitik
vom 29.01.2021