Grüner Glutkern
Von Arnold Schölzel
Was Matthias Höhn kann, können Grüne besser. Der Linke-Mann aus Magdeburg nähert sich eher schüchtern der NATO, um ihr seine Liebe zu gestehen. Hätte er aber am Dienstag den Berliner Tagesspiegel gelesen, wäre sein Eintrag ins NATO-Poesiealbum, den er zuerst dem Spiegel, dann als »Diskussionsangebot« den »lieben Genossinnen und Genossen« in der Linke-Bundestagsfraktion schickte, wohl neu verfasst worden. Der Spiegel nannte zwar die Schurkenstaaten und ihre Repräsentanten in der Fraktion bei Namen – »Heike Hänsel (Venezuela), Sevim Dagdelen (China) oder Alexander Neu (Russland)« –, aber dennoch: So wird das nichts mit »Rot-Rot-Grün«. In der Tageszeitung aus dem Hause Holtzbrinck machen die in der DDR aufgewachsene Theologin und Kovorsitzende der Heinrich-Böll-Stiftung, Ellen Ueberschär, und der Vizepräsident der Bundesakademie für Sicherheitspolitik, Patrick Keller, unter der Überschrift »Wir brauchen eine neue Übereinkunft« jedenfalls vor, wie’s geht: Auch bei NATO oder der »Wiederbelebung der transatlantischen Partnerschaft« nicht lange fackeln, sondern zupacken. Wer sich an Donald Trumps Umgangsformen erinnert fühlt, liegt richtig: »Wir« sind wieder wer und können uns so ziemlich alles erlauben. In diesem Fall: »Europa« könne »seine Handlungsfähigkeit nur transatlantisch abgesichert erhalten und ausbauen«, und Joseph Biden wisse, »dass Amerika nur durch die enge Zusammenarbeit mit einem handlungsfähigen Europa die eigene Weltmachtrolle erhalten« könne. Im Klartext: Europa baut seine Weltmachtrolle aus, damit die USA die ihre noch halten können. Ein Deal im Trumpschen Stil, wenn auch nicht in seinem Sinne: Europe keeps America great – Europa hält Amerika großartig.
Es folgt das Grünen-obligatorische Blabla über »zivilgesellschaftliche Querverbindungen«, wofür sich »jenseits etablierter Eliten« vor allem soziale Bewegungen »junger Menschen und vielfältiger Minderheiten – beispielsweise zur Bekämpfung des Klimawandels und der Überwindung von Rassismus und Sexismus, aber auch zu Themen wie dem Wandel der Arbeitswelt« anbieten. Aber die politische Hardware, sprich Hochrüstung und es den Russen und Chinesen zeigen, folgt alsbald: »Angesichts der neuen geostrategischen Lage braucht die Sicherheitspartnerschaft, der Glutkern des transatlantischen Verhältnisses, eine neue Übereinkunft.« Das ist die Geburt der atomaren Aufrüstung aus dem Geist theologisierender Politlyrik.
Nämlich: »Die europäischen NATO-Staaten – mit Deutschland an erster Stelle – erhöhen ihre Fähigkeiten zur konventionellen Verteidigung erheblich.« Im Gegenzug bekräftigen die USA ihr »Bekenntnis zur Verteidigung des Bündnisgebiets«, untermauern dies durch dauerhafte militärische Präsenz »sowie durch ihre nukleare Schutzzusage, die Deutschland durch die nukleare Teilhabe unterstützen sollte, solange es Nuklearwaffenstaaten außerhalb der NATO gibt.« In einem Strategiepapier von 19 US- und deutschen Autorinnen und Autoren, das dem Tagesspiegel-Beitrag zugrunde liegt (siehe: anewagreement.org), ist näher beschrieben, worin die »neue geostrategische Lage« besteht: »Die Konfliktstrategie Russlands und sein wachsendes militärisches Potential verlangen amerikanisches Gegengewicht.« Anders gesagt: »Wir« sind noch nicht wieder soweit, um Russland das Fürchten zu lehren, aber gemeinsam schaffen wir das.
Höhn kann aus solch staatspfäffischem Glaubensbekenntnis zu einem »Glutkern« und aus den Schlussfolgerungen viel lernen. Die Kombination von »junge Menschen und vielfältige Minderheiten« auf die Straße schicken und gleichzeitiger kompletter Militarisierung der Außenpolitik macht den Grünen allerdings gegenwärtig niemand nach. Es ist das Programm der vollendeten Reaktion.
Die Kombination von «junge Menschen und vielfältige Minderheiten» auf die Straße schicken und gleichzeitiger kompletter Militarisierung der Außenpolitik macht den Grünen gegenwärtig niemand nach. Es ist das Programm der vollendeten Reaktion.
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