Ruf zu den Waffen
Von Hansgeorg Hermann, Chania
Für das Militär ist der griechischen Regierung nichts zu teuer. Der rechtskonservative Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis kündigte am Montag in Athen nach einem Gespräch mit seinem portugiesischen Amtskollegen António Costa eine Verlängerung des allgemeinen Wehrdienstes von bisher neun auf zwölf Monate an. Termin ist der 1. Mai. Die bewaffneten Streitkräfte sollen außerdem von derzeit geschätzten 100.000 auf rund 133.000 Personen aufgestockt werden und damit »Normalstärke« erreichen, wie der Regierungschef betonte. Der neue Marschbefehl betrifft alle jungen Männer, die das 18. Lebensjahr vollendet haben. Mitsotakis ließ keinen Zweifel daran, dass es sich um eine warnende Geste an den Nachbarn Türkei handelt. Der Regierung in Ankara warf er vor, Gespräche über die Beilegung des Streits um Seerechte und Ressourcen in der Ägäis zu blockieren.
Bereits im Dezember hatte das griechische Parlament der Regierung den Kauf neuer Kampfflugzeuge genehmigt. Die größte französische Waffenschmiede Dassault Systèmes soll noch in diesem Jahr 18 hochmoderne Jäger des Typs »Rafale« zum Gesamtpreis von mehr als einer Milliarde Euro liefern. Sie sollen ältere Maschinen des Typs »Mirage« ersetzen. Abgerundet wird der Großauftrag an Mitsotakis’ »beste Freunde« in Paris durch den Kauf von vier Fregatten, von Kampfdrohnen und durch die erklärte Absicht, auch Unterseeboote zu bestellen. Mitten in der vom Coronavirus verursachten sanitären Krise, die das Land in den vergangenen Monaten auch wirtschaftlich besonders hart traf, will der Regierungschef den Griechen nun neue hohe Schulden auf die Schultern laden.
Nach Schätzungen der Statistikbehörde Eurostat wird die Regierung in Athen in diesem Jahr mit rund 86 Milliarden Euro Einnahmen rechnen können. Dem werden rund 91,4 Milliarden Euro an Ausgaben gegenüberstehen. Die EU-Kommission, die Europäische Zentralbank in Frankfurt am Main und der Internationale Währungsfonds hatten das Land in den vergangenen zehn Jahren mit enormen Schuldendiensten wirtschaftlich und finanziell in die Knie gezwungen. Weitgehend zerstört wurde dabei vor allem das Sozialsystem. Während die Ausgaben zur »Verteidigung« und bereits getätigte Waffenverkäufe für die Regierungen in Deutschland und Frankreich niemals zur Diskussion standen, mussten ab 2010 sowohl die konservative wie auch die folgende sozialdemokratische Regierung auf Druck aus Brüssel und Berlin Renten und Beamtengehälter um bis zu 50 Prozent kürzen. Gleichzeitig blieb Griechenland nach den USA mit einem Beitrag von mehr als 2,5 Prozent des Haushalts der relativ größte Finanzierer der NATO.
Die Einberufung von mehr als 30.000 neuen Soldaten zum Pflichtwehrdienst wird ebenfalls in Milliardenhöhe zu Buche schlagen. Die griechische Marine, die in den vergangenen Jahren – zusammen mit der europäischen Grenztruppe Frontex – vor allem damit beschäftigt war, Flüchtlinge aus den Kriegsgebieten im Nahen und Mittleren Osten zurückzudrängen, wird nach dem Zukauf von vier Fregatten mehr als 17 Schiffe dieses Typs verfügen. Der NATO-Waffenbruder Deutschland selbst, dessen Händlern von Kriegsgerät die Gegnerschaft der Nachbarn Türkei und Griechenland seit Jahrzehnten glänzende Geschäfte beschert, besitzt nur zehn Fregatten.
Auch die Franzosen, deren Präsident Emmanuel Macron seit 2017 für wachsende Konjunktur bei den Waffenschmieden des Landes sorgt und als eine Art fliegender Händler in Indien, Katar oder auch in Griechenland unterwegs war, profitieren reichlich. Im neuesten Streit der Nachbarn an der Ägäis, den der türkische Präsident mit der Stationierung eines Forschungsschiffes in Sichtweite griechischer Inseln und Besitzansprüchen auf vermutete Gas- und Erdölvorkommen lostrat, tritt Macron als »der einzige Freund« Athens auf, wie Mitsotakis seinen Landsleuten immer wieder einbleut. Zwölf der verkauften Kriegsflugzeuge sind Gebrauchtware aus den Beständen der französischen Luftwaffe und sollen bei Dassault aufpoliert werden. Sechs Jäger sind nagelneu und sollen offenbar wie die vielen tausend neuen griechischen Wehrpflichtigen den türkischen Autokraten Recep Tayyip Erdogan beeindrucken und an den Verhandlungstisch bringen.
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