Türkische Aggression
Von Nick Brauns
Im Norden Syriens hat die türkische Armee in der Nacht zum Freitag unter offenem Bruch eines seit vergangenem Jahr gültigen Waffenstillstandsabkommens eine von schwerem Artilleriebeschuss begleitete Offensive auf die Kleinstadt Ain Issa gestartet. Ziel ist die Kontrolle über die in 30 Kilometern Entfernung parallel zur Grenze verlaufende, strategisch wichtige »M 4«-Schnellstraße. Bei heftigen Gefechten mit den Syrischen Demokratischen Kräften (SDK) wurden nach Angaben der kurdischen Nachrichtenagentur in Syrien, Anha, viele türkische Soldaten und mit ihnen verbündete dschihadistische Söldner getötet. Die russische und syrische Armee, die gemeinsame Observationsposten mit den SDK bei Ain Issa errichtet haben, griffen laut Anha bislang nicht in die Kämpfe ein.
Derweil spitzen sich die von Ankara geschürten Spannungen zwischen der in der nordirakischen Autonomieregion Kurdistan regierenden Demokratischen Partei Kurdistans (KDP) und der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) sowie deren Schwesterverbänden in Nordsyrien zu. Der kurdische Premierminister Masrur Barsani beschuldigte die Volksverteidigungseinheiten YPG, dominante Kraft innerhalb der SDK, am Mittwoch einen Posten der Peschmerga an der Grenze zum Nordirak mit schweren Waffen angegriffen zu haben.
Die SDK wiesen dies am Donnerstag als »Übertreibung« eines durch »schlechte Koordination zwischen den Sicherheitskräften auf beiden Seiten der Grenze« erfolgten Vorfalls zurück. Eine PKK-Guerillaeinheit, die den SDK bei einer Operation gegen die Dschihadistenmiliz »Islamischer Staat« (IS) geholfen habe, sei auf dem Rückweg in ihre Basis von Peschmerga-Kräften belagert worden. Ein kurzes Feuergefecht sei mit Hilfe der etablierten Kommunikationskanäle schnell beendet worden.
Der offenbar von der KDP absichtlich provozierte Vorfall ereignete sich direkt vor dem Besuch des irakischen Premierministers Mustafa Al-Kadhimi am Donnerstag beim türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan in Ankara. Die türkische Regierung wirbt seit langem in Bagdad für ein gemeinsames Vorgehen gegen die PKK. Bereits am Montag hatte Barsani laut der KDP-nahen Nachrichtenseite Kurdistan24 in einem Telefonat mit dem US-Sonderbeauftragten für Syrien, Joel Rayburn, im Einklang mit Ankara behauptet, die SDK würden Waffen, die sie von der US-Regierung zum Kampf gegen den IS erhalten hatten, an die PKK weitergeben. Barsani beschuldigte die PKK zudem, für die gewalttätigen Massenproteste gegen die kurdische Regierung, die sich an ausstehenden Beamtengehältern entzündet hatten, verantwortlich zu sein.
»Die KDP versucht mit ihrer Propaganda im In- und Ausland, die Angriffe des türkischen Staates auf unsere Bewegung und unser Volk zu legitimieren«, warnte die PKK in einer Erklärung vor noch umfassenderen Attacken. Bereits am vergangenen Sonntag hatten Peschmerga in der Provinz Dohuk an zwei Orten das Feuer auf Fahrzeuge mit PKK-Kämpfern eröffnet. Bei den Auseinandersetzungen wurden mehrere Guerillakämpfer verletzt und ein Peschmerga getötet. Die KDP hatte in den letzten Monaten parallel zu Operationen der türkischen Armee im Grenzgebiet die Rückzugsgebiete der Guerilla im Bergland mit ihren Peschmerga eingekreist. Die vom Barsani-Clan geführte KDP hat sich aufgrund von Ölgeschäften, die sie entgegen einer Abmachung mit Bagdad direkt über die Türkei abwickelt, von Ankara abhängig gemacht.
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