Bosse auf Krawall gebürstet
Von Bernd Müller
Für die rund 140.000 Beschäftigten in der norddeutschen Metall- und Elektroindustrie hat die neue Tarifrunde begonnen. Am Montag kamen Vertreter des Unternehmerverbandes Nordmetall und der Gewerkschaft IG Metall zusammen. Das ist zugleich der Auftakt für die bundesweite Tarifauseinandersetzung in der Metallbranche.
Vier Prozent mehr Geld fordert die Gewerkschaft, und die sollen entweder in Form einer Lohnerhöhung an die Beschäftigten gehen oder als Teilausgleich für eine abgesenkte Arbeitszeit in den Betrieben, die von der Coronakrise stark belastet sind. Aus Sicht der IG Metall könnte das unter anderem mit einer Viertagewoche realisiert werden.
Darüber hinaus fordert die Gewerkschaft Zukunftstarifverträge, um Arbeitsplätze zu erhalten. Die Branche steht vor einem technologischen Wandel, und um die Zeit der Veränderungen zu überbrücken, braucht es aus ihrer Sicht langfristige Lösungen. Statt Beschäftigte vor die Tür zu setzen, wenn es zeitweise zuwenig Arbeit gibt, solle es möglich sein, vorübergehend die Arbeitszeit zu senken.
»Damit wollen wir Arbeitsplätze sichern, in den Betrieben die Zukunft gestalten und die Einkommen der Beschäftigten stärken«, hatte Daniel Friedrich, Bezirksleiter der IG Metall Küste, im Vorfeld betont. Gemeinsames Ziel mit den Unternehmern müsse sein, mit allen Beschäftigten durch die Krise zu kommen.
Es sei vernünftig, »in dieser Krisenzeit die Beschäftigungssicherung in den Vordergrund der Tarifrunde zu stellen«, hatte Peter Schlaffke, stellvertretender Nordmetall-Hauptgeschäftsführer, Anfang Dezember erklärt, als dem Verband die Forderungen der IG Metall übergeben wurden. Von höheren Löhnen wollte er aber nichts wissen: Angesicht »der größten deutschen Wirtschaftskrise seit Jahrzehnten« seien die Lohnforderungen niemandem vermittelbar.
Die Verhandlungsposition der Kapitalseite scheint festgezurrt zu sein; am Montag wurde sie von der Nordmetall-Verhandlungsführerin Lena Ströbele bekräftigt. Die Gewerkschaft solle doch gemeinsam mit den Unternehmen nach Entlastungspotentialen suchen. »Die seit 2019 andauernde Rezession, die digitale Transformation, der Strukturwandel, zahlreiche Exportprobleme und seit Jahresanfang die Coronakrise bringen viele Betriebe in eine schwierige Lage«, erklärte sie. Mehr Lohn könne es erst geben, wenn Profite wie vor der Krise erwirtschaftet würden.
Nicht nur im Norden Deutschlands sind die Unternehmen auf Krawall gebürstet – ein Interview von Gesamtmetall-Chef Stefan Wolf mit Welt am Sonntag vom 13. Dezember lässt bundesweit einen ernsten Tarifkonflikt erahnen. Die Gewerkschaft und die Beschäftigten müssten auch mal Abstriche machen, forderte er. Ihm fehle nicht nur jedes Verständnis für die Forderungen der IG Metall, sagte er; die Beschäftigten sollten dagegen auch niedrigere Löhne akzeptieren. Künftig solle ein Flächentarifvertrag nur noch gelten, wenn die wirtschaftliche Lage rosig aussehe, schwebt ihm dabei vor. Erwirtschafte ein Unternehmen dagegen zuwenig Gewinn, solle von ihm abgewichen werden dürfen. Konkret forderte er für diesen Fall Lohnkürzungen. Der Welt am Sonntag sagte er: Wenn »das Betriebsergebnis unter einen bestimmten Wert fällt, werden die Lohnkosten automatisch reduziert«. In betrieblichen Belangen will er die Gewerkschaft dann ganz hinausdrängen und nur noch mit dem Betriebsrat verhandeln. Wenn die IG Metall mit am Tisch sitze, werde es immer kompliziert, sagte er weiter.
Für den Fall, dass die Gewerkschaft nicht klein beigibt, drohte Wolf mit Betriebsverlagerungen ins Ausland. Die Bundesrepublik sei »wieder an dem Punkt wie zu Beginn der 2000er Jahre, als Deutschland als kranker Mann Europas galt«, und viele Länder wie Bulgarien und Rumänien würden deutsche Firmen mit niedrigen Steuern und höheren Zuschüssen ins Ausland locken. Sein eigenes Unternehmen unterhalte in Ungarn einen Standort, erklärte Wolf, weil dort »das Lohnniveau natürlich viel niedriger« sei.
Die Kapitalseite wittert momentan Morgenluft, verstärkt die Krise doch Ängste in den Belegschaften, was die Kampfmoral negativ beeinträchtigen könnte. So sieht laut einer Umfrage der IG Metall in Bayern mehr als jeder vierte Beschäftigte den eigenen Arbeitsplatz in Gefahr. Drei von vier Beschäftigten nähmen verstärkt Zukunftsängste in der Belegschaft ihres Betriebes wahr.
Die bayerischen Metaller beharren darauf, dass nun »auch die Arbeitgeber einen Beitrag leisten«, denn die Beschäftigten hätten bereits »große Opfer gebracht«, bekräftigte Johann Horn, Bezirksleiter der IG Metall Bayern.
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