Illiberale Rechtstradition
Von Holger Czitrich-Stahl
Neuerdings fordern Regierung und Teile der Opposition wieder verstärkt, die »wehrhafte Demokratie« müsse sich gegen Übergriffe wie jüngst vor dem Reichstagsgebäude durchsetzen. Gleichzeitig erweisen sich die deutschen Sicherheitsorgane als offen für Faschisten, wie menschenverachtende Chats jede Woche erneut beweisen. Dass letzteres keine neue Erscheinung ist, sondern bereits in den Gründungsjahren der Bundesrepublik Deutschland System hatte, ist in der aktuellen Z. Teil der Analysen im Heftschwerpunkt »Kritik der Extremismustheorie«.
Das Konzept der »wehrhaften Demokratie« fußt auf der historisch falschen Wertung, das Scheitern der Weimarer Republik sei nicht auf die Übermacht der autoritären, konservativen und faschistischen Kräfte in Gesellschaft und Staat, sondern auf die »zu liberale« Verfassung zurückzuführen. Sarah Schulz zeichnet in ihrem Beitrag die Entwicklung dieses Arguments von Weimar bis zur »wehrhaften Demokratie« nach und zeigt auf, dass sich dieses Konzept zuallererst gegen die politische Linke richtete. Unter anderem über das politische Strafrecht aus der Ära Adenauer, das vor allem der Kommunistenverfolgung diente, entstand so eine illiberale Rechtstradition, die über die Gleichsetzung linker und rechter Akteure unter dem »Extremismus«-Begriff nicht zuletzt die politische Rechte aus ihrer historischen Verantwortung für das Ende der Weimarer Republik entließ. Weitere Beiträge dazu kommen von Dominik Feldmann, Martina Renner/Sebastian Wehrhahn, Gerd Wiegel und Stefan Bollinger.
Der zweite Heftschwerpunkt »Relektüre Lenin (1870–2020)« fragt nach der Aktualität des russischen Revolutionärs. Wladislaw Hedeler/Volker Külow/Manfred Neuhaus thematisieren in ihrem Beitrag unter anderem die kritischen Neuausgaben von »Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus« und »Der Marxismus über den Staat/Staat und Revolution«. Der kürzlich verstorbene Alfred Kosing schreibt über »Lenin und die Theorie des Sozialismus«. Mit Lenins Hegel-Lektüre beschäftigt sich Georgios Kolias. Emiliano Alessandroni gibt einen Einblick in die aktuelle Lenin-Rezeption in Italien.
Zwei weitere Themenfelder des aktuellen Heftes sind »Coronakrise und Kapitalismus« sowie »Gewerkschaften und Coronakrise«. Vor allem der Charakter der Krise als ökologisch-epidemiologisch-ökonomische Krise, die von der Kapitalseite forcierte Lastenabwälzung auf die Lohnabhängigen und Mittelschichten und die Inflationsgefahr als Folge der extensiven Geld- und Fiskalpolitik kommen zur Sprache. Möglichkeiten einer offensiven Gewerkschaftspolitik in den Tarifkämpfen werden erörtert. Außerdem: Vorstellung neuerer Hegel-Literatur, Habermas-Kritik, Diskussionsbeiträge zur Werttheorie sowie ein umfangreicher Diskussions- und Rezensionsteil.
Z. Zeitschrift marxistische Erneuerung, Nr. 124 (Dezember 2020), Jg. 31, 248 Seiten, Einzelheft: 10 Euro, Bezug: Z. Zeitschrift Marxistische Erneuerung, Postfach 70 03 46, 60553 Frankfurt am Main, E-Mail: redaktion@zme-net.de
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