Skandalnudel und Unsympath
Von Markus Bernhardt
Mit einer personellen Neuaufstellung will die Berliner SPD die im kommenden Jahr anstehenden Wahlen zum Abgeordnetenhaus und zum Bundestag erfolgreich meistern. Nur knapp zehn Monate vor den Urnengängen sollen Bundesfamilienministerin Franziska Giffey und Raed Saleh, SPD-Fraktionschef im Abgeordnetenhaus, erreichen, was Amtsvorgänger Michael Müller nicht mehr zu gelingen schien: Nämlich die Partei aus dem anhaltenden Umfragetief holen und das Rathaus verteidigen, in dem Müller, der im nächsten Jahr in den Bundestag entkommen will, vorläufig weiterregiert.
Dass letzteres gelingen kann, ist unsicherer denn je. So kommt Giffey seit Monaten nicht aus den Schlagzeilen, da sie wegen ihrer Doktorarbeit unter Plagiatsverdacht steht. Zuletzt kündigte die Freie Universität (FU) eine erneute Prüfung an. Giffey selbst hatte kürzlich angekündigt, gänzlich auf den Doktortitel verzichten zu wollen. Ob sie sich im Amt halten kann, falls ihr der Titel entzogen wird, ist offen. Auch sonst ist die Lage nicht die beste: Der frischgebackene Kolandeschef Saleh, der nach dem Rückzug Klaus Wowereits 2014 schon einmal Regierender Bürgermeister werden wollte, aber in einer parteiinternen Abstimmung deutlich gegen Müller unterlag, gilt nicht einmal in der eigenen Partei als Sympathieträger. Dies machte sich am Wochenende beim Landesparteitag auch an seinem Wahlergebnis bemerkbar: Nur schlappe 68,7 Prozent der Stimmen konnte er auf sich vereinen. Die skandalgebeutelte Giffey kam hingegen auf 89,4 Prozent.
Tatsächlich sind in der Berliner SPD mittlerweile eine Reihe von Wunden entstanden, die – bereits erfolgten oder noch möglichen – Personalrochaden geschuldet sind. So tobt in der Partei ein Machtkampf um die wenigen als sicher geltenden Listenplätze bei der Bundestagswahl, der das Klima bis hinein in die Bundestagsfraktion der SPD vergiftet hat. Möglich ist, dass die erst im Mai zur Wehrbeauftragen des Bundestages gewählte Eva Högl, die 2017 als Spitzenkandidatin der Berliner SPD angetreten war, den Spitzenplatz für Müller räumen musste, der sich inzwischen jedoch der Konkurrenz mit dem Juso-Chef Kevin Kühnert ausgesetzt sieht, den es ebenfalls in den Bundestag zieht. Der Berliner SPD stehen sicherlich noch eine Reihe weiterer persönlicher und politischer Verwerfungen bevor.
Unterdessen erklärte Giffey, auch dann für die Nachfolge von Müller als Regierende Bürgermeisterin antreten zu wollen, wenn die FU ihr den Doktortitel endgültig aberkennen sollte. Sie kündigte an, sich für fünf Kernthemen, die »fünf Bs für Berlin«, stark machen zu wollen: »Bauen, Bildung, beste Wirtschaft, Bürgernähe und Berlin in Sicherheit«. Sollte die Bundesfamilienministerin tatsächlich Spitzenkandidatin der Berliner SPD für die Abgeordnetenhauswahlen werden, stellt sich auch die Frage, ob sie sich offen für eine Fortsetzung des Dreierbündnisses aus SPD, Grünen und Linkspartei stark machen wird. Erste Zeichen deuten darauf hin, dass die SPD-Politikerin keinen sonderlichen Wert auf eine weitere Kooperation mit Linkspartei und Grünen (von denen Teile der CDU schöne Augen machen) legen wird, wenn sich ihr Einzug ins Rote Rathaus anders arrangieren ließe. Die CDU, so heißt es hinter den Kulissen, wäre bereit, einige Kröten zu schlucken, um zurück an den Senatstisch zu kommen.
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Leserbriefe zu diesem Artikel:
- Hans Reinhardt, Glashütten: Wortbrüchig Treffender als in der Überschrift des Beitrags von Markus Bernhardt lassen sich diese beiden wohl kaum beschreiben. Man könnte sogar diese Bezeichnungen auf weite Teile der SPD ausweiten. Was die ehem...
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