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Aus: Ausgabe vom 09.06.2020, Seite 3 / Schwerpunkt

Hintergrund: »I Am A Man«

Am 1. Februar 1968, nach einem schweren Arbeitstag, ereilt Robert Walker, 29, und Echol Cole, 35, einer der heftigen Gewitterstürme, für die Memphis berüchtigt ist. Die zwei Arbeiter suchen Zuflucht im Laderaum des Müllwagens des städtischen Entsorgungsbetriebs, für den sie arbeiten, während zwei weitere Kollegen sich zum Fahrer in die Kabine quetschen. Sie kauern zwischen Kehricht, verschimmelten Essensresten und toten Hühnern, als aufgrund eines technischen Fehlers die Hydraulikpresse losgeht und die beiden Männer zermalmt.

Ihr grausamer Tod spricht sich schnell in der Stadt am Mississippi herum. Nur wenige Tage später legen mehr als 1.300 Angestellte der städtischen Abfall- und Santitärbetriebe – die überwältigende Mehrheit wie Cole und Walker Afroamerikaner – ihre Arbeit nieder. Auf ihren Protesten tragen unzählige Teilnehmer Schilder mit der Aufschrift »I Am A Man« vor sich her. Der Arbeitskampf wird dadurch Ausdruck eines universalen Kampfs um Menschenrechte.

Frühere Ansätze zur gewerkschaftlichen Organisation waren stets gescheitert – zuletzt an dem allgemeinen »Antikommunismus« der McCarthy-Zeit und dessen besonders brutaler Ausformung in den Südstaaten. Der Streik von 1968 dann war Fanal des Aufbruchs, blieb aber auch wegen eines verheerenden Rückschlags für die Bürgerrechtsbewegung im Gedächtnis. Durch langanhaltende Ausstände und mehrfache Proteste gelang es den Müllmännern und Straßenreinigern, die Anerkennung einer Gewerkschaft genauso durchzusetzen wie die lange verlangte Lohnerhöhung und grundsätzliche Verbesserungen der Arbeitsbedingungen. Es war aber auch in Memphis, wo nach einer vielbeachteten Rede vor den Arbeitern deren einflussreichster Unterstützer, Martin Luther King jr., erschossen wurde. Der Ermordung Kings folgten weitere Wellen der Repression, die bis in unsere Tage die afroamerikanische Community genauso wie die Gewerkschafts- und Arbeiterorganisationen in den USA schwächen.

Viele der durch große Opfer erkämpften Errungenschaften haben staatliche Unterdrückung und neoliberales Regimes zunichte gemacht. Heutzutage verdient ein Müllman vielerorts wieder weniger als seine Vorgänger vor den Streiks in den 1960er Jahren. Als am 5. Mai in New Orleans 14 Müllmänner in den Streik treten und gegen das sie beschäftigende Subunternehmen, die private Müllentsorgungsfirma und die Stadt den Kampf für bessere Löhne und Arbeitsbedingungen aufnehmen, ist dies für die USA im 21. Jahrhundert fast wieder so aufsehenerregend wie vor 52 Jahren. Dessen sind sich auch die Streikenden bewusst: Wie die Arbeiter 1968 in Memphis halten sie wieder Schilder in der Hand mit den Worten »I Am A Man«. (jj)

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