Wer ist gefährlicher, Mensch oder Mücke?
Von Fabian Lehmann
Wer Malaria hört, denkt in der Regel zuerst an Afrika, wo die Infektionskrankheit die allermeisten der knapp halben Million Todesopfer pro Jahr fordert. Dabei ist die von der Anopheles-Mücke übertragene Krankheit Europa weit näher, als es zunächst scheint. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts war das Fieber auch hierzulande noch weitverbreitet. Erst die großflächige Trockenlegung der Sumpfgebiete hat der Mücke sozusagen das Wasser abgegraben und ihr damit das Brutgebiet genommen. Die gegenwärtige Klimaerwärmung schafft jedoch die Voraussetzungen für die erneute Ausbreitung der Malaria in Mitteleuropa.
Diese Entwicklungen sind die Ausgangslage für das Performancetanzstück »Fear & Fever« (Regie: Sophia Stepf), das derzeit in den Berliner Sophiensälen läuft. Getragen wird das Stück von den beiden Performern Konradin Kunze (Berlin) von Flinn Works und Isack Peter Abeneko (Daressalam) von der tansanischen Kompanie Asedeva. Eric Ndikumana und Alice Harrison unterstützen in Nebenrollen. 2016 hatten Kunze und Abeneko mit »Maji Maji Flava« bereits ein Stück zum deutschen Kolonialkrieg in Ostafrika gemacht. Aus dieser Zeit rührt auch ihr Interesse an der Verbindung von Medizin und Glauben, das sie nun wieder aufgreifen. So wird die Performance zu Beginn als Stück über »Bill Gates, Kolonialismus und böse Geister« vorgestellt.
Integraler Bestandteil des interaktiven Stücks sind die Zuschauer, die zu »Subjekten« in einer »randomisierten Doppelblindstudie« erklärt werden. Was folgt, ist ein Performancekarussell und Episodentheater, in dessen Verlauf das Publikum in Gruppen aufgeteilt und von einer Station zur nächsten geleitet wird. Mal lauscht es dem Erfahrungsbericht des Neulings, der gerade erst begonnen hat, sich mit der Krankheit und deren Bekämpfung auseinanderzusetzen, mal wird es eher drögen Dokumentarsendungen auf zu kleinen Bildschirmen gegenübergesetzt. In der Folge haben die Zuschauer immer nur Teile des dezentrierten Geschehens im Blick.
Dabei werden relevante Fragen aufgeworfen. Etwa welche Vorstellung schauriger ist: die Infektion mit Malaria und die regelmäßig wiederkehrenden Fieberschübe? Oder das gezielte Aussetzen genmanipulierter Mücken, die ihre genetische Fehlfunktion an die Nachkommen weitergeben und sich so allmählich selbst ausrotten? Nicht weniger relevant ist die Frage, wer darüber entscheiden soll, ob solch ein radikaler Eingriff, der potentiell Menschenleben retten kann, tatsächlich Anwendung findet: die Regierungen der betreffenden Länder oder doch gleich William »Bill« Gates mit seiner milliardenschweren Stiftung? Denn letzterer hat angekündigt, der Malaria bis 2040 ein Ende zu machen. Möglicherweise hat er damit Erfolg. Die zur Prävention kostenlos verteilten Moskitonetze werden in Afrika lieber zum Fischfang eingesetzt, als über das Bett gehängt.
Das Stück hat auch vergnügliche Passagen. Mit viel Klamauk wird vorgeführt, wie europäische Organisationen in Afrika Schauspieler anwerben, um in Bildungstheaterstücken die dörfliche Bevölkerung über die Behandlung von Malaria aufzuklären. Hier wird Theater also mit den Mitteln des Theaters erläutert. Dabei spielt Abeneko ebenso kraftvoll wie überzeugend in seiner Wut auf die vermeintlichen Wohltaten europäischer Organisationen, die fern der afrikanischen Lebensrealität ihre Agenda durchsetzen. Zwar bleibt das Ende von »Fear & Fever« wenig überzeugend, dennoch handelt es sich eindeutig um Bildungstheater der besseren Art.
Nächste Vorstellungen: 28. und 29. September, Sophiensäle Berlin; 8. und 9. Oktober, Museum am Rothenbaum Hamburg
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