»Linke Gegenkultur muss leicht zugänglich sein«
Interview: Kristian Stemmler
Vom heutigen Freitag an veranstalten Sie im Klub Twentyfive auf der Hamburger Reeperbahn das zweitägige »Ausgeladen-Festival 2019«. Was hat es damit auf sich und wer wird auftreten?
Wir sind ein Festival für Rap, Punk und Gegenkultur. In erster Linie geht es zwar um Musik und Party, wir wollen aber auch ein Zeichen gegen die Ausladepolitik im Kulturbetrieb und in der linken Subkultur setzen. Das Festival wird von diversen Freiwilligen organisiert, initiiert hat es die Satire-Rap-Crew »King Veganismus One & Dr. Alsan«. Das Line-up umfasst 26 Rap- und Punkacts. Außerdem wird es Redebeiträge von linken Gruppen und Organisationen, etwa der DIDF-Jugend und Antirepressionsaktivisten, sowie ein Podiumsgespräch geben.
Was meinen Sie mit dem Begriff Ausladepolitik? Wollen Sie jedem eine Bühne geben?
Natürlich nicht. Wir laden niemanden ein, bloß weil er mal irgendwo ausgeladen wurde. Einerseits besteht das Problem darin, dass linke, internationalistische Musiker ausgeladen werden, etwa weil sie die israelische Besatzungspolitik kritisieren. Andererseits verprellen Linke Musiker, die kritisch denken, aber selber keinen engeren politischen Bezug haben. Erst neulich hat zum Beispiel eine linke Gruppe in Bern den Rapper »Morlockk Dilemma«, der auch sehr viele systemkritische Texte hat, wegen seiner bewusst überzeichneten Texte ausgeladen. Das ist albern, so isoliert man sich.
Eines Ihrer Ziele ist es, eine »linke Gegenkultur« zu stärken. Was verstehen Sie darunter?
Eine Kultur, die Solidarität und Opposition vermittelt, Marginalisierte zu Wort kommen lässt, und viele Menschen erreicht, weil sie leicht zugänglich ist. Wenn vorgeblich linke Kultur zu Armut und Reichtum oder Krieg und Frieden nichts Gescheites zu sagen hat und nur politische Sprachhygiene propagiert, ist klar, dass die meisten damit nichts anfangen können. Das muss sich ändern. Die Frage »Was ist Gegenkultur?« werden wir am Samstag nachmittag übrigens mit Susann Witt-Stahl vom Magazin Melodie & Rhythmus diskutieren.
Welche Rolle spielt die Diskussion über die BDS-Bewegung (englisch für Boycott, Divestment and Sanctions, jW) für die Ausladungen, die Sie kritisieren?
Wir erwarten von den Künstlern keine bestimmte Position zum Nahostkonflikt. Spätestens seit im Mai in einer fraktionsübergreifenden Resolution im Bundestag die BDS-Bewegung als »antisemitisch« verurteilt wurde, kann aber jeder Künstler, der sich in irgendeiner Form positiv auf den zivilgesellschaftlichen Protest der Palästinenser bezieht, ausgeladen werden. Das schafft ein repressives Klima, das wir ablehnen. Das jüngste Beispiel dafür ist der US-Rapper Talib Kweli, der in Deutschland keine Konzerte spielen durfte und keine Möglichkeit bekommen hat, sich zu erklären.
Wir lassen bei unserem Festival auch propalästinensische Musiker und Aktivisten zu Wort kommen. Es wird ein Statement von Aktiven der Queerbewegung geben, die sich für die Palästinenser einsetzen und beim jüngsten »Radical Queer March« in Berlin dafür attackiert wurden.
Auf dem Festival geht es auch um vegane Lebensweise. Ist das nicht ein Thema gut situierter urbaner Schichten, mit dem Sie die »Underdogs«, die Sie erreichen wollen, eher ausschließen?
Das glaube ich nicht. Wir bieten zwar veganes Essen an und haben das auf die Flyer geschrieben, drücken das Thema aber niemandem auf. Allerdings werden Musiker spielen, die sich explizit für die Verbindung von Klassenkampf, Ökologie und Tierbefreiung aussprechen, und das finden wir gut. Es gibt auch in der Arbeiterklasse ein Bedürfnis danach, praktisch und alltagsnah auf die Klimakrise und die skandalöse Politik der Fleischindustrie zu reagieren. Das Problem ist vielmehr, dass viele Linke diese Themen nicht oder zu wenig aufgreifen und sie nicht von links beantworten. Erst dadurch wird den Lifestylehipstern das Feld überlassen.
Dennis Tietze gehört zur Crew des Ausgeladen-Festivals
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