Auftakt zum Ausverkauf
Von Reinhard Lauterbach
Die Pläne der ukrainischen Regierung zur Einführung eines Markts für landwirtschaftliche Flächen nehmen Gestalt an. Wie Ministerpräsident Olexi Hontscharuk letzte Woche in Kiew auf einer Beratung mit Vertretern der Agrarbranche mitteilte, soll der Handel mit Grund und Boden zum 1. Oktober 2020 eröffnet werden. Ursprünglich zum 1. Juli 2020 geplant, habe sich die Regierung von Einwänden aus der Praxis überzeugen lassen, dass mitten in der Erntezeit für eine so grundlegende Reform nicht der günstigste Termin sei.
Auf dem Papier sieht das Gesetz verschiedene Einschränkungen des Erwerbs landwirtschaftlicher Nutzflächen vor. Kaufen dürfen demnach nur ukrainische Bürger und in der Ukraine registrierte juristische Personen. Die offizielle Darstellung ist dabei widersprüchlich. Präsident Wolodimir Selenskij machte sich auf derselben Veranstaltung über »Phantastereien über Chinesen, Araber und Marsmenschen« lustig, die die ukrainische Erde aufkaufen würden; Regierungschef Hontscharuk aber räumte auf Nachfrage ein, dass natürlich auch ausländische Investoren ukrainische Äcker kaufen könnten – wenn sie eine Gesellschaft nach ukrainischem Recht gründeten und Steuern nach Kiew abführten. Ausgenommen sind Personen und Firmen, die dem ukrainischen Sanktionsgesetz unterliegen – also Russen und russische Unternehmen.
Als Antikonzentrationsklausel stellte Hontscharuk die Bestimmung dar, dass einzelne Investoren nicht mehr als 15 Prozent der agrarischen Nutzfläche eines Gebiets (die Ukraine ist in 24 dieser Verwaltungseinheiten unterteilt, die meisten haben Flächen zwischen 20.000 und 30.000 Quadratkilometern) oder 0,5 Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche der Ukraine erwerben dürften. De facto stellt das Gesetz jedoch die Ermächtigung zur Aufteilung des ukrainischen Ackerlands auf etwa 200 Eigentümer bzw. eines Terrains von der durchschnittlichen Fläche eines deutschen Bundeslandes auf sieben Großgrundbesitzer dar. Die Öffnung des Bodenmarkts sei notwendig, um die ehrgeizigen Wachstumsziele der Regierung zu unterstützen, so Hontscharuk. Wahrscheinlich geht es aber um den Ausverkauf der staatlichen Bodenreserven, um die Auslandsschulden des Landes bedienen zu können – die Agrarreform müsse im Kontext der »außerordentlich schwierigen« makroökonomischen Verhältnisse in den kommenden Jahren gesehen werden, sagte der Ministerpräsident. Die Ukraine werde 2020 und 2021 jeweils ein Drittel ihres Haushalts für den Schuldendienst ausgeben müssen.
Auf einige Skepsis stießen bei ukrainischen Experten die Pläne der Regierung, innerhalb eines Jahres ein System staatlicher Vorzugskredite zu entwickeln. Damit sollen für mittelständische Bauern und kleinere Agrarunternehmen ähnliche Kreditbedingungen gewährleistet werden können wie für Investoren, die auf Kredite aus dem Ausland zurückgreifen können. Derzeit liegen nach Hontscharuks Worten die Hypothekenzinsen in der Ukraine in heimischer Währung bei elf bis zwölf Prozent jährlich. Wenn es nicht gelinge, dieses System verbilligter Kredite zu schaffen, könne die Reform nicht gestartet werden. Angesichts der von ihm prognostizierten finanziellen Schwierigkeiten kann das kaum ernst gemeint sein. Auf ein ganz praktisches Problem deutete eine unfreiwillig komische Passage in Hontscharuks Rede hin: Es gelte zunächst einmal »Ordnung in den Grundbuchämtern« zu schaffen, in denen Korruption herrsche; noch in dieser Woche sollten alle gegenwärtigen Leiter dieser Behörden entlassen werden. Das Publikum – also die örtlichen Agrarunternehmer, mithin Interessierte – seien herzlich eingeladen, »ehrliche« Kandidaten für die Nachfolge vorzuschlagen. Wer weiß, dass zum Beispiel die Anpassung der Katasterbehörden in Osteuropa an EU-Standards Jahre dauerte, kann da nur den Kopf schütteln.
Es ist nicht so, dass es keine Alternativvorschläge gab. Zum Beispiel den, für Kleinbauern eine Ratenzahlung über 30 Jahre zu einem symbolischen Zinssatz von drei Prozent vorzusehen. Doch sie werden nicht weiter verfolgt. Der Regierung kommt es offenkundig darauf an, möglichst schnell möglichst viel Geld in die Kasse zu bekommen. Den Segen der Weltbank hat sie; das Programm ist mit ihr abgestimmt.
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